Cover des Buches Midlife-Cowboy (ISBN: 9783785752166)
Rezension zu Midlife-Cowboy von Chris Geletneky

Von guten Mächten wunderbar geborgen oder auch von Muster über Master zu Mein Leben

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Wir hinterfragen alle irgendwann, wir wollen das Besondere, nicht das Alltägliche. Was, wenn das Besondere aber genau im Alltäglichen liegt?

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 8 Jahren

In ‚Midlife-Cowboy‘ sehen wir die Welt durch Tillmanns Augen. Und das ist per se keine schlechte Welt, nur eine, die momentan in der Spießigkeit und dem Perfektionismus des Familiendaseins gefangen ist. Es ist eine Welt aus Fertighäusern und akkurat gepflegten Rasenflächen – die natürlich nur mit einem eigens dafür teuer angeschafften Rasentraktor in Schuss gehalten werden dürfen. Es ist eine Welt mit der fantastischsten Ehefrau und den besten Kindern und einem Gartenteich. Mit guten Freunden aus guten Familien mit anständigen Berufen. Die perfekte Idylle für ein perfektes Leben also. Doch Tillmann – seines Zeichens in einer solchen Musterhaussiedlung nicht nur beruflich tätig, sondern auch Paradebeispiel für den Familienvater schlechthin - kann - und vor allem will – in dieser Welt nicht mehr leben. Zunehmend stellt er fest, dass sich seine einst so strebsamen Jugendträume mit der Zeit in Staub verwandelt haben, der sich auf der Fassade seines jetzigen Lebens niederlässt und ihr den Glanz beraubt. Die Liebe zu seiner Frau ist noch da, füllt ihn aber nicht mehr aus. Weder emotional noch körperlich. Es ist einfach immer gleich, alles Routine. Sex. Familie. Job. Gartenfeste mit den Freunden. Aber nichts Neues mehr. Nichts Unbekanntes, das es zu entdecken gilt. Kein Abenteuer, das es zu erleben gilt. Und kein Nervenkitzel, den es auszuhalten gilt. Nein, nichts mehr außer stupides, fast mechanisches ‚vor-sich-hin-Leben‘. Besonders bewusst wird ihm dies, als eine studentische Hilfskraft ihm seine tägliche Post bringt und ihn unweigerlich auf sein eingestaubtes und langweiliges Leben hinweist. In seinem Inneren beginnt es zu rumoren, zu brodeln und der über die Jahre angestaute Frust über zerplatzte Träume entlädt sich in einer gnadenlosen Explosion und dem Versenken des Rasentraktors im Gartenteich.

· Doch reicht dieser eine Ausbrauch aus dem Alltag schon aus, um das Leben wieder lebenswert zu gestalten?

· Reicht es aus, um Träume und Familie wieder in Einklang zu bringen?

· Oder ist es erst der Startschuss – sog. Kick-off – für ein neues Leben, das sämtliche Grenzen sprengt?

· Ein Leben, in dem Versuchungen und das Spiel mit dem Feuer alles sind, was zählt?

· Wird Tillmann einen Weg finden, seine Liebe nicht durch die alltägliche Eintönigkeit vollends einrosten zu lassen?

· Oder wird er den Versuchungen erliegen, die sich ihm infolge bieten?

· Wird es ihm zudem gelingen, die von allen Seiten drohende ‚Midlife-Crisis‘ zu be- und zu überstehen?

· Aber vor allem, ohne am Ende ohne alles dazustehen?

Die Tage werden wieder wärmer. Also trommelt Eure besten Freunde zusammen, schmeißt den Grill an. Gönnt Euch etwas Leckeres zu trinken und lehnt Euch zurück und lauscht statt des üblichen Grillenzirpens den Hilferufen unseres ‚Midlife-Cowboys‘. Ich garantiere Euch, Ihr werdet es nicht bereuen. Ihr werdet Spaß haben. Alle zusammen. Vielleicht werdet Ihr sogar das ein oder andere lernen. Ich jedenfalls habe dies: einfach mal leben und leben lassen. Und dann, wenn der letzte Ton verklingt, geht raus, feiert und liebt. Vor allem aber lebt, und seht zu, dass Eure Träume nicht zu Staub zerfallen und ihr Euch am Ende selbst im Hinterfragen Eures Daseins wiederfindet.

Ich hatte selten so viel Spaß beim Zuhören. Bastian Pastewka liest fantastisch, gibt dem Ganzen Leben, macht es echt und greifbar. Er gibt mit seinem Sprach- und Stimmtalent den wunderbaren, flüssigen Worten des Autors Charakter und unterstreicht dessen schriftstellerischen Tiefgang mit einem hörbaren. Untermalt wird das Ganze durch eine passende Komposition an Klang- und Stimmfarben. Man spürt, was gelesen und lebt, was erzählt wird. Man ist kein stiller Beobachter, sondern irgendwie als einer von Tillmanns Freunden dabei, wenn er auf Abwege gerät. Beruflich wie auch privat. Man empfindet seine Verwirrungen, seine Emotionen, seine Angst und seine Leidenschaften mit. Man hofft und bangt und bangt und hofft.

„Und dann nahm ich noch etwas wahr: Das wollüstige Stöhnen einer Frau in sexueller Ekstase. Und zwar aus meiner Hose.“

Zunächst lernt man ihn als fürsorglichen Vater, trotz allem liebenden Ehemann und loyalen Freund kennen. Durch seine Augen erfährt man, dass es okay ist, nicht perfekt zu sein und das Perfekte auch eigentlich nicht zu wollen. Dass hinter jedem mehr steckt, als uns die kleinbürgerliche Fassade vermuten lässt. Dass die Liebe und die Leidenschaft nicht der Routine und der Rastlosigkeit erliegen dürfen. Und auch wenn Tillmann – wie viele seiner Freunde – hier fremdgeht, so lernen wir doch zu verstehen, warum dies passiert ist. Und das er eben nicht der Einzige dabei ist. Wir lernen, dass ein jeder von uns mit seinen eigenen Problemen belastet ist, doch dass sich viele dieser Sorgen und Ängste gleichen und hätten aus der Welt geschafft werden können, wenn man doch nur wirklich miteinander geredet hätte. Sein Leben nicht nur miteinander gelebt, sondern es auch wirklich geteilt hätte. Ich denke, dann wären viele Wogen, die innerhalb des Lebens Tillmanns aufbegehrt sind, gar nicht erst entstanden. Beziehungsweise hätte er sein belangloses Dahinplätschern zusammen mit seiner Familie mit echtem Leben füllen können. Doch in ‚Midlife-Cowboy‘ passiert das eben nicht. Es wird lange verdrängt und geschluckt und nebeneinander gelebt. Vielleicht sogar aneinander vorbei. Bis die Torschlusspanik vor der großen 40 einsetzt und sich alles in einem gigantischen Feuerwerk aus Abenteuer und Lust, Geheimnis und Verrat, Freude und Frust, Party und Paar entlädt. Erst spät merkt er, dass das, was er droht zu verlieren, doch viel mehr Leben ist als all das, was er aus falscher Panik heraus forciert hat.

„Vorbei an unzähligen Alkoholleichen, knutschenden Pärchen und zur dröhnenden Musik tanzenden Menschen torkelte ich zurück zum Empfangsgebäude. Ich war plötzlich unfassbar niedergeschlagen und wollte nur noch hier weg.“

Tillmann ist guter Hauptcharakter, der hier und da etwas mehr Tiefe und Substanz vertragen könnte. Dennoch aber echt und trotz seiner Fehler, seines Hinterfragens, seines Riskierens sehr sympathisch wirkt. Er verirrt sich im Leben. Er fällt auf die Nase. Doch er kann auch wieder aufstehen. Das Highlight in diesem Hörbuch sind aber ganz klar die Nebencharaktere, bei denen jeder Einzelne mit einer enormen Portion an Pfeffer und Pfiff ausgestattet ist. Es sind eben diese Nebendarsteller, die die Geschichte im Ganzen rund werden lassen. Die Geschichte selbst ist schräg und urkomisch, wirkt zugleich aber auch vorstellbar real. Ein Familienvater auf Abwegen sumpft in der Midlife-Crisis und sucht den modernen Cowboy in sich selbst. Ein neuer Masterplan, der ihn aus der Eintönigkeit und Graustaffelung des Familienalltags befreien soll, muss her. Kleinbürgertum und Spießigkeit ade. Ein emotionaler Ritt durch die Musterhaussiedlung. Das ist ‚Midlife-Cowboy‘.

Wir hinterfragen alle irgendwann, wir wollen das Besondere, nicht das Alltägliche.

· Was, wenn das Besondere aber genau im Alltäglichen liegt?

· In der Stabilität und Liebe einer Familie?

Hört zu und findet es mit Tillmann heraus.

Zum Schluss wird etwas über das Ziel hinausgeschossen, was aber für ein Hörbuch sehr gut funktioniert, da es neben dem Gehörten einen enormen visuellen Effekt erzeugt. Zumindest vorm ‚Hörer‘-Auge.

Ich kann das Hörbuch nur rundum empfehlen. Es hat mich überzeugt: mit Witz und Humor, aber auch weil es berührend und wachrüttelnd ist. In vielerlei Hinsicht.

Vor allem aber eines: Es wirkt durch und durch echt.

Eure Jil Aimée

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