Rezension zu "Coco Chanel & Igor Strawinsky" von Chris Greenhalgh
Autor Chris Greenhalgh nimmt seine Leser in das Paris um 1920 mit. Der Erste Weltkrieg ist zu Ende, Frankreich gehört zu den Siegermächten, die Wirtschaft erholt sich und Paris ist das Sammelbecken hunderter verarmter russischer Adliger, die mit Müh’ und Not den Bolschewiken und ihrem Terror entkommen sind.
Das Buch beginnt (und endet) im Jahr 1971, mit dem Tod von Coco Chanel. Dazwischen spannt sich der Bogen der Bekanntschaft von Chanel und Strawinsky.
Genauso wie Chanels Mode Aufsehen erregt, ist das Publikum 1913 für die aufwühlende (manchmal auch dissonant erscheinende) Musik von Strawinsky nicht bereit. Sein “Sacre de Printemps” wird gnadenlos ausgepfiffen. Interessanterweise ist Coco unter den Konzertbesuchern.
Um 1920 lebt die Familie Strawinksy nahezu mittellos in einer kleinen Wohnung in Paris leben. Bei einem Abendessen bei dem Impresario Diaghilew lernt Chanel Strawinsky persönlich kennen und lädt ihn und seine Familie ein, in ihrer Villa zu wohnen.
Was scheinbar ohne Hintergedanken beginnt, verstrickt der Autor zu einer Affäre, die es laut Biografen sowohl von Chanel als auch von Strawinksy in diesem Ausmaß nicht gegeben hat.
Strawinksy erscheint in diesem Roman als Getriebener. Auf der einen Seite von Chanel auf der anderen von seiner Gemahlin, der an TBC erkrankten und ständig unzufriedenen Jekaterina. Igor kommt in diesem Roman nicht recht gut weg. Er will alles. Seine Ehe aufrecht erhalten und erfüllten Sex mit Coco. "Jekaterina bleibt beim Liebesspiel stets passiv. Wo Jekaterina den Liebesakt als eheliche Pflicht erduldet,... erlebt Igor ihn mit Coco zum ersten Mal als wechselseitig Freude spendendes und von wildem Genuss geprägtes Glück". (S.156)
Natürlich ist es auch für ihn nicht unagenehm, dass Coco alle Rechnungen bezahlt und Geschenke macht. Trotzdem wird sie von Igor nicht als Künsterlin anerkannt. Für ihn ist sie nur eine “Verkäuferin”.
Interessant ist die Gegenüberstellung der beiden Frauen: Coco als selbständige Geschäftsfrau, die aus ärmlichen Verhältnissen stammt und nun sehr vermögend ist. Bei Jekaterina verhält es sich genau umgekehrt: als Tochter reicher Adeliger ist sie nun im Exil eine auf die Wohltätigkeit anderer angewiesene Frau.
Während Coco sich das nimmt, was ihr ihrer Meinung nach zusteht bzw. was sie für harte Währung bekommen kann, manipuliert Jekaterina ihre Umgebung mit ihrer Krankheit und ihrer Herkunft. Sie hält arbeitende Frauen (auch wenn sie noch so viel Geld verdienen) für minderwertig. Ein bisschen Genugtuung verspüre ich, dass Jekaterinas Tochter Ludmilla später in Chanels Salon arbeiten wird.
Vieles ist hier Spekulation, doch gibt der Roman die Geisteshaltung der Menschen gut wieder: Hier die schwer arbeitenden Menschen (ob Mann oder Frau), dort die, wenn auch verarmten Adeligen, die sich auf Grund ihrer Herkunft als etwas Besseres halten.