Cover des Buches Der eiserne Wald (ISBN: 9783426512890)
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Rezension zu Der eiserne Wald von Chris Howard

Deprimierend realistische, teils grausame Dystopie

von Elwe vor 10 Jahren

Rezension

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Elwevor 10 Jahren
Ich bin entsetzlich gespalten, was dieses Buch betrifft.
Einerseits ist es endlich einmal eine Dystopie, die diesen Namen auch verdient. Der Autor zeichnet eine verwüstete Welt, in der eine unbekannte Naturkatastrophe den Mond zerstört hat. Seither sind die Jahreszeiten außer Kontrolle, große Teile der Welt unbewohnbar, die Ozeane haben sich in unbefahrbare Todesfallen mit dreißig Meter hoher Brandung verwandelt und alle Tiere und Pflanzen sind ausgestorben - mit Ausnahme von quasi unzerstörbarem, zehn Meter hohem Genmais und todesgefährlichen Heuschrecken, die in den Maisfeldern nisten und alles bis auf die Knochen fressen, was organisch ist. Das Nahrungsmittel- und Spritmonopol besitzt der Konzern Gen Tech, der den Mais besitzt (wer sich beim Nachzüchten erwischen lässt, wird von ihren Agenten erschossen - eine wie ich finde durchaus gelungene Extrapolation der Geschäftspraktiken von Konzernen wie Monsanto, die heute schon ihr Unwesen treiben).
In dieser Welt lebt eine brutale Ellenbogengesellschaft, in der ausschließlich das Recht des Stärksten gilt, in der Piraten auf den Straßen ihr Unwesen treiben, wo Menschen für einen Kanister Sprit und eine Kiste Popcorn erschossen werden und wo GenTech kraft ihres Monopols Allmacht besitzt.
Diese Welt wird sehr glaubwürdig dargestellt, was das Setting zugleich ungeheuer hoffnungslos und frustrierend macht. Man muss weiterlesen, es ist spannend, aber absolut spaßfrei.
Der Held des Buches ist der Baummeister Banyan, ein junger Nomade, der mit seinem Vater durch die Lande zog, um aus Metall für reiche Kunden Baumskulpturen zu bauen. Denn echte Bäume gibt es ja nicht mehr. Nach einem Sandsturm in der Mojave-Wüste verschwindet sein Vater jedoch spurlos und Banyan ist fortan auf sich selbst gestellt. Er nimmt einen Job von einem reichen, cracksüchtigen Tunichtgut an, einen Metallwald vor dessen Haus zu errichten, und zwar nach der Vorlage eines unglaublich detaillierten Baums, der der Gattin des Kerls auf den Leib tätowiert ist. Bald scheint es, dass dieses Tattoo in Wirklichkeit eine Karte zu den letzten noch lebenden Bäumen auf der Erde ist - und dass Banyans Vater diesen Ort einst gesehen hat. Denn es existiert ein Foto von ihm in diesem Wald.
Mit zweifelhaften Verbündeten macht sich Banyan auf die Suche nach diesen Bäumen. Eine Suche, die bald zum tödlichen Wettlauf wird, denn der, der sie findet, könnte ein Vermögen damit machen.
Und hier kommt meine Kritik ins Spiel.
Banyan ist kein Held, er ist nicht einmal ein Anti-Held, sondern nur ein oft sehr naiver Junge, der von einem Zufall in den nächsten stolpert und nur dank äußerer Ereignisse und der Taten seiner Mitreisenden überhaupt sein Ziel erreicht. Das macht es bald schon sehr schwer, mit ihm zu sympathisieren. Zugegeben, sein Charakter ist wahrscheinlich sehr realistisch gezeichnet, aber in einem solchen Buch wünscht man sich Figuren, die wenigstens ein klein wenig über den anderen strahlen und die irgendetwas an sich haben, das sie befähigt, ihr eigenes Schicksal zu etwas Besonderem zu machen.
Banyan aber hat nichts dergleichen. Er stolpert von einer Katastrophe in die nächste, wenn etwas schief gehen kann, geht es auch schief, seine wenigen Anfälle von Idealismus enden eigentlich immer in einem Desaster und bis zum Ende ist er eigentlich immer nur mehr lästiges Anhängsel, als einer, der Dinge in die Hand nimmt. Die Suche nach den Bäumen endet schon nach kurzer Zeit in einer Falle, aus der er sich nicht einmal selbst befreit, sondern nur zufällig (durch die nächste Katastrophe) wieder rauskommt. Die sich dann aus vom Regen in die Traufe entpuppt - aber das ist ein Element, das sich durchs ganze Buch zieht. Immer wenn man glaubt, jetzt kann es nicht schlimmer kommen, kommt es noch schlimmer.
Im Ergebnis haben wir einen Roman, der düster, dreckig, unendlich deprimierend und ja, absolut spannend daherkommt - bei dem man sich während des Lesens aber überwiegend unbehaglich fühlt, oft enttäuscht ist und gelegentlich dem Helden wünscht, er möge sich endlich den Hals brechen.
Der Autor schont seine Figuren nicht, er lässt ihnen Schreckliches widerfahren, was die ganze Atmosphäre noch düsterer und noch hoffnungsloser erscheinen lässt.
Die Frage muss also lauten: Ist der Leser stark genug für das Buch? Denn, egal ob nun absichtlich oder nicht, mit seinen moralisch fragwürdigen, schwachen, wankelmütigen, verlogenen Figuren hält es einem einen Spiegel mit dem ganzen Kaleidoskop menschlicher Abgründe vor, die immer dann zum Vorschein kommen, wenn die Lebensumstände härter werden und jeder sich selbst der nächste ist. Es zeichnet das Bild einer grauenhaft hoffnungslosen Welt, die leider so gut vorstellbar ist, dass man es überhaupt nicht lesen möchte.
In diesem Sinne ist es sicher ein gutes Buch.
Zugleich ist es als Unterhaltungsliteratur aber einfach nicht sehr gelungen, weil es nur runterzieht, anstatt zu unterhalten.
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