"Chris Voss war über viele Jahre beim FBI als Verhandlungsführer aktiv und kam während seiner Tätigkeit mit einer Vielzahl von Kriminellen wie Bankräubern und Terroristen in Kontakt", liest man auf der Rückseite des Buches. Das klingt vielversprechend, sagt aber nicht wirklich viel über die Genialität von Voss aus. Doch man hat es hier mit einer Methodik zu tun, die – egal aus welcher Perspektive man sie betrachtet – einfach brillant ist. Kompromisslos verhandeln passt irgendwie nicht in die Zeit, weil es eine Härte impliziert, die nicht mehr modern scheint. Aber was soll man machen, wenn man bei einer Geiselnahme gar keine andere Wahl hat? Nur die Hälfte der Geiseln freizukriegen, kann ja wohl nicht das Ziel einer solchen Verhandlung sein.
Voss hat weder Psychologie studiert, noch irgendwas Ähnliches. Er wollte nur zum FBI und hat sich dort gegen alle Widerstände bis zu einem der erfolgreichsten Verhandlungsführer hochgearbeitet. Als ihn Theoretiker der bekannten Ostküsten-Universitäten der USA zu einem Workshop einluden, hat er sie nicht nur verblüfft, sondern bei einem Praxistest alle in die Tasche gesteckt. Was Voss entwickelt und bis zur Perfektion getrieben hat, lässt sich auch im Alltag anwenden, wenn man es trainiert und gewisse Voraussetzungen mitbringt. Kompromisslos verhandeln klingt nach Härte und Konfrontation. Doch Voss macht genau das Gegenteil. Er bleibt ruhig und freundlich und dringt langsam, aber nachhaltig in die Sphäre seines Gegners ein. Das macht er mit verschiedenen Techniken so geschickt, dass sein gegenüber nicht selten das Gefühl bekommt, er würde den Lauf der Dinge bestimmen, obwohl er letztlich das macht, was Voss wollte.
Ein wesentlicher Teil dieser Technik ist das Stellen von gezielten offenen Fragen, die den Verhandlungsgegner beschäftigen und von seinen eigentlichen Zielen ablenken und verwirren. Beispielsweise, indem man ihn fragt, wie man etwas machen soll, das er verlangt. Spiegelungstechniken, die auch zum Arsenal von Voss gehören, erreichen nicht nur, dass sich der Gegner verstanden fühlt, sie können ihn auch zur Preisgabe von Informationen verleiten oder ihn gar von Forderungen abbringen. Mich haben diese und andere Techniken sehr stark an die Herangehensweise asiatischer Kampfkünstler erinnert. Sie funktionieren nur bei völliger Selbstbeherrschung und der Kontrolle der eigenen Emotionen.
Richtig und aufmerksam zuhören zu können, ist eine der Grundvoraussetzungen für das in diesem Buch vorgestellte Gesamtkonzept, aus dem man auch für den Alltagsgebrauch Teile und Prinzipien herausnehmen kann. Wie erreicht man es, dass jemand antwortet, der bisher Anrufe oder Mails unbeantwortet gelassen hat? Welchen Erfolg versprechen Fragen, die ein Nein provozieren? Welchen Wert besitzt es, wenn man seinen Verhandlungsgegner zu der Aussage "Das stimmt" bringt? Wie entdeckt man sogenannte Schwarze Schwäne, also beispielsweise versteckte Motive, die man aus Routine leicht übersieht, die aber geeignet sind, eine angespannte Situation in eine Katastrophe abgleiten zu lassen?
Kompromisslos zu verhandeln, ohne es heraushängen zu lassen, ist eine große Kunst, die in diesem Buch meisterhaft beschrieben wird. Sie läuft darauf hinaus, dem anderen die Illusion der Kontrolle zu vermitteln und ihn sanft genau dahin zu lenken, wohin man ihn haben will.
Dies ist eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe. Voller genialer Techniken, die auch noch hervorragend erklärt werden.