Es dauerte einen Moment, bis sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, und als sein Sehvermögen zurückkehrte, sah er Sadie mit einem großen Messer in der Faust auf der anderen Seite des Zimmers stehen, ihr Gesicht angstverzerrt. "Ich hab doch gesagt, du sollst mich nicht anfassen", warnte sie ihn mit leiser Stimme.
Quinn hockte reglos da. Dann hob er den Finger, um auf seine eigene Lippe zu deuten. "Du hast ein Stück Orange am Mund, das ist alles."
Doch Sadie war schon verschwunden.
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INHALT:
Vor zehn Jahren ist Quinn Walker aus seiner Heimatstadt geflüchtet, nachdem er den Mord an seiner kleinen Schwester mitangesehen hat. Doch irgendetwas hat ihn nun zurückgetrieben - ist es die Schuld? Der Schmerz? Der Wunsch nach Rache? Er ist sich nicht sicher, was der Grund für seine Rückkehr ist, und um ihn herauszufinden, muss er bleiben. In den Bergen begegnet er der jungen Sadie, die sich dort seit dem Tod ihrer Mutter versteckt. Langsam baut sich zwischen den beiden Vertrauen auf. Doch die Frage ist: Kann Quinn sie beschützen, obwohl er dies bei seiner Schwester nicht vermochte?
MEINE MEINUNG:
Chris Womersleys Spannungsroman "Beraubt" ist 1919 angesiedelt, als der erste Weltkrieg gerade vorbei ist. Hauptfigur Quinn Walker, selbst im Krieg gewesen, erzählt seine Geschichte bis auf Prolog und Epilog in der personalen Sicht selbst. Der Schreibstil ist rau und karg, bringt aber so auch die Lebensweise zur damaligen Zeit sowie das schroffe Outback Australiens zur Geltung. Die Beschreibungen sind dabei sehr bildhaft, aber auch extrem detailreich, was das ein oder andere Mal etwas ermüdend wirkt.
Quinn ist ein Protagonist mit einer schwierigen Vergangenheit in gleich zwei Aspekten: Nicht nur wurde seine Schwester ermordet und er für den Täter gehalten, er musste auch noch das Grauen und den Tod im Krieg miterleben. So ist er ein Charakter mit Narben, innerlich wie äußerlich. Anfangs etwas ängstlich und beschämt, wandelt er sich zu einem Mann mit Vorstellungen. Dahin bringt ihn die kleine Sadie, ein allein lebendes Mädchen, das auf seinen Bruder wartet. Sie ist eine schwer zu durchschauende Figur und hat seltsame Angewohnheiten, wirkt aber dennoch sehr glaubwürdig. Andere Personen kommen eher spärlich vor, werden dann jedoch immer mit wenigen Sätzen stark charakterisiert.
Wer in "Beraubt" eine Geschichte mit Thrill und Action erwartet, liegt falsch. Der Roman fällt in die Sparte "Spannungsliteratur", und als solche sollte man ihn auch sehen. Er hat seine starken, fesselnden Momente, aber auch seine ruhigen, erzählerischen. Der Autor findet dabei eine überwiegend gute Balance zwischen Beschreibungen und Dialogen. Letztere machen auch das Besondere an dem Buch aus, denn sie sind nicht nur durchdacht und interessant gestaltet, sondern sie wecken in Quinn auch die Erinnerungen, die dem Leser einen Einblick in die Geschehnisse zehn Jahre zuvor geben.
Anders als man es vielleicht erwartet, entsteht kein großes Rätselraten um den Mörder von Quinns Schwester, dieser wird nämlich schon nach etwa 100 Seiten enthüllt. Viel mehr geht es um seine Befreiung von der Schuld, ihr damals nicht geholfen zu haben, sowie um seinen Wunsch nach Gerechtigkeit. Wie er diesen umsetzen möchte, darüber muss er sich erst noch klar werden, und dies macht einen gehörigen Anteil der Spannung aus, ebenso wie die verworrene Beziehung zu der jungen Sadie. Bis zum Ende reißt der Roman, trotz zwischenzeitlicher spärlicher Emotionen, mit und lässt am Schluss durchaus nachdenklich über das Weiterleben der Charaktere zurück.
FAZIT:
"Beraubt" ist, so viel muss klar sein, im Bereich der "Spannungsliteratur" anzusiedeln und hat daher wenig von einem Thriller, auch wenn einem dies beim Klappentext so vorkommen könnte. Der Roman spielt 1919 im australischen Outback und ist ebenso rau wie die damalige Zeit und das Land. Lässt man sich darauf jedoch ein, erwartet einen eine interessante Geschichte mit vielen Facetten. 4 Punkte!
Chris Womersley
Lebenslauf
Neue Rezensionen zu Chris Womersley
Das Jahr 1919. Quinn Walker kehrt aus dem Krieg zurück in seine Heimat Australien, in das Städtchen Flint. 10 Jahre ist es her, das er hier war. Quinn, der aus Flint geflohen ist, weil man ihn verdächtigt hat, seine eigene Schwester umgebracht zu haben. Umgebracht und geschändet. Sein eigener Vater hat ihn über seine Schwester gebeugt mit einem Messer in der Hand gefunden. Quinn war nicht der Täter, doch niemand wird ihm glauben. Auch sein eigener Vater nicht. So flieht er und zieht in den Krieg, den Ersten Weltkrieg. Als Quinn Walker zurückkehrt, muss er sich verstecken. Er schläft im Freien, beobachtet die Umgebung und wird so von dem Waisenmädchen Sadie Fox entdeckt. Sadie nimmt ihn mit in ihre armselige Behausung, eine Hütte in den Bergen, aber so haben sie wenigstens ein Dach über den Kopf. Sadie beobachtet die Menschen. Sie weiß vieles über sie. Sie weiß alles. Sie weiß auch alles über Quinn. Sie schleicht sich immer wieder runter in das Städtchen und bestiehlt die Menschen um Kleinigkeiten. Hier ein bisschen Obst, dort etwas anderes. Immer so wenig, dass es den Bewohnern gar nicht auffällt. Für Sadie und Quinn geht es jedoch ums Überleben. Zwischen den beiden entsteht eine ungewöhnliche Beziehung. Er will sie unbedingt beschützen. Ihr soll nicht passieren, was man seiner Schwester angetan hat. Sein Onkel Robert ist ihnen schon auf der Spur. Er ist der Polizist im Ort. Er weiß, dass Sadie sich irgendwo versteckt hält. Sadie, deren Vater vor Jahren abgehauen ist und deren Mutter an der Grippe gestorben ist. Überhaupt die Grippe. Sie wütet im Land. Wer nicht im Krieg gefallen ist, der stirbt nun an der Grippe. Auch Quinns Mutter ist erkrankt. Er hat sich ein paar Mal ins elterliche Haus geschlichen und sie besucht. Sein Vater ist nicht anwesend. Wegen der Ansteckungsgefahr wohnt er momentan nicht bei seiner Frau. Wenn er sie besucht, dann bleibt er auf der Terrasse sitzen und spricht von dort aus mit ihr. Quinn erzählt seiner Mutter von damals. Sie glaubt ihm, dass er es nicht war, doch auch sie weiß, dass die anderen davon kaum zu überzeugen sein werden. Quinn erzählt seiner Mutter jedoch nicht, wer der wahre Mörder seiner Schwester ist. Diesen hat er nämlich vor 10 Jahren genau gesehen.
"Beraubt" ist ein ungewöhnlicher Roman. Kein Krimi, auch kein Thriller an sich. "Beraubt" ist ein Roman, der einen von der ersten bis zur letzten Seite packt, der einen in Atem hält, nicht mehr los lässt. Spannung pur. Es geht um Liebe, um Rache, um Gerechtigkeit. Es geht um eine ungewöhnliche Freundschaft. Chris Womersley gelingt es, die Personen so zu darzustellen, dass man sie sieht. Man sieht die Landschaft, man kann die Trockenheit des australischen Bodens förmlich riechen. Man fühlt mit Quinn Walker mit, der traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrt. Seine Albträume sind spürbar, greifbar.
"Beraubt" ist ein Roman für alle, die das Außergewöhnliche lieben.
Die Suche nach der Wahrheit
„Ich war es nicht“.
Das ist, was Quinn seiner Mutter sagen kann, aller er sich heimlich nach mehr als 10 Jahren Abwesenheit in das elterliche Haus hinein stiehlt. Und seine Mutter zumindest glaubt ihm. Aber auch sei weiß, dass sie da die einzige ist.
!0 Jahre zuvor, 1909, war die Familie in Unruhe über die zu lange Abwesenheit der 12jährigen Tochter Sarah. Als der Vater und der Onkel sie fanden, bot sich ein Bild des Grauens. Die Tochter blutüberströmt, geschändet und tot am Boden, der Sohn Quinn mit einem ebenfalls blutbesudelten Messer über ihr gebeugt. Es donnert und blitzt in dem Augenblick, als Quinn, der Sohn, sich erklären will, doch er seiht in den Augen von Vater und Onkel, dass das alles keinen Sinn mehr hat und flieht.
Jahre später erhält die Familie ein Telegramm über den Heldentod Quinns im Krieg gegen die Deutschen und so kehrt in Flint, der kleinen Stadt in Australien, zumindest äußere Ruhe ein.
Doch Quinn ist wieder da. Heimlich. Denn er weiß, wer es war und trachtet nun danach, am Rande der Ortschaft im Wald sich versteckend, Beweise zu finden.
Ein Quinn, der nicht unversehrt ist, weder körperlich noch seelisch. Das Kinn zerschossen, Gas eingeatmet, die Schreckend es Krieges gesehen, dessen Realität sich so ganz anders darstellt als die bunten Bilder, mit denen die jungen Männer angeworben wurden. Nicht ohne Grund gibt es den ein und anderen Überlebenden, der auf der Überfahrt von Europa nach Australien stillschweigend über Bord geht. Weil das Leben kaum mehr zu ertragen ist.
Und so macht sich Quinn auf den Weg, Gerechtigkeit zu suchen und Wahrheit, hält sich abseits, auch wenn Gerüchte über seine Wiederkehr die Runde machen werden. In einer fast surrealen Umgebung, in der die Grippe wütet (auch Quinns Mutter liegt danieder), Häuser unter Quarantäne stehen und die Menschen eher durch das Leben taumeln denn ihre Tage gestalten. Menschen, denen das Handeln an sich näher liegt als das Denken um australischen Outback, eine Welt, in der die Hoffnung verloren geht.
Eine Suche, auf der Quinn Unterstützung erhält von einem kleinen Mädchen im Wald, die vieles zu wissen scheint, was nur ihm bekannt ist. Eine Halluzination? Ein Weggleiten aus der Realität, das Quinn da erlebt oder ein menschliches Wesen mit einem wichtigen Wissen? Einem Wissen, welches das brutale Vergehen von damals aufklären kann, denn der eigentlich Schuldige ist nicht weit.
Mit hoher und dichter Atmosphäre schreibt Womerley seine Geschichte traumatisierter Menschen und eines Verbrechens in einer Welt am Abgrund nach der Wut des Krieges und der Heimsuchung durch die gefährliche Epidemie. Kurze, glasklare Sätze und fast beiläufige, aber immer treffende Bilder entstehen, die den Leser emotional unbeirrt hineinziehen in diese intensive, von Schuld und Verlust, von sich Verbergen und Rache geprägten Welt. Die sich fortsetzt in den inneren Albträumen und der Isolierung der Figuren.
Sowohl in der Geschichte selbst als auch in den sie tragenden Figuren legt Chris Wemersley ein Buch vor, dass den Leser fasst und nicht so schnell wieder loslassen wird.
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