Das gewollte Ende einer Kulturlandschaft ohne Rücksicht auf Verluste
Ja, vordergründig geht es um den Erhalt bestimmter Arten, auch um einen Ausgleich für den Ausbau des Antwerpener Hafens, der von ökologischen Aktivisten „abgetrotzt“ wird.
„Es ist eine lautstarke Demonstration gegen den Plan, wieder 1500 Ha Ackerland für die Hafenerweiterung zu beschlagnahmen, die Hälfte davon für Naturkompensation“.
Das dabei eine dem Wasser fast mit bloßen Händen damals abgerungene, landwirtschaftliche Kulturlandschaft mit zerstört wird, 1000 Höfe weichen müssen, Bauern enteignet werden, das Dorf Doel, aus dem der Autor stammt, mehr oder weniger inzwischen einer Geisterstadt aus dem Wilden Westen entspricht, dass neben dem Hof sich eine Villa breit macht, 3 Meter vom Viehstall entfernt, dass auf der anderen Seite ein großes Möbelzentrum Fläche um Fläche benötigt, dass gegenüber eine Treibhausanlage sich breit und breiter macht, in der Lebensmittel industriell gezüchtet (nicht „angebaut“) werden, dass die Weite des Blicks verloren gegangen ist, all das spielt für die bürokratischen Entscheidungen keine Rolle.
So erzählt Chris de Stoop seine Geschichte auf zwei Zeitebenen. On der Kindheit und Jugend, dem Aufwachsen am Polder, der Nähe zu den Tieren, der Arbeit und Mühe, aber auch der Freiheit, dem frühen Tod des Vaters, nach dem der Bruder den Hof übernimmt.
„Es war ein bedeutsames Ganzes in dem alles seinen Platz hatte. Menschen und Tiere und Gebäude passten noch in die Landschaft. Heute aber scheint nicht mehr zu stimmen“.
Heute, das heißt ein überwiegender Leerstand und Verlust der Höfe, ausgewanderte Bauern. Das heißt leerstehende Gebäude und brachliegendes soziales Leben. Heute, das heißt auch ganz persönlich für de Stoop Trauer. Um die sterbende Familie, die alte Mutter im Heim, den Verlust nicht nur der äußeren Heimat der Jugendtage, sondern auch der inneren Heimat des gegenwärtigen De Stoop.
„Woher kommt bloß das Verlangen, dass diese Landschaft in mir hervorruft? Sofort bin ich wieder Teil von ihr, auch wenn ich schon seit meiner Studienzeit weg bin. Dann kommt das Polderkind in mir hoch“.
Dennoch, ohne romantische Verklärung schildert de Stoop die Geschichte des Dorfes von seiner blühenden Zeit damals bis zum (gewollten und bürokratisch vorangetriebenen) Verfall heute. Willkür scheint zu herrschen, was alleine schon den Schilderungen über den Umgang mit den Häusern, Hausbesetzern, den gewachsenen Menschen vor Ort angeht.
Was, nebenbei, auch mit der „Frauenlosigkeit“ der Bauern zu tun hat, denn wenig Frauen zeigen sich bereit, ein Leben auf einem der Bauernhöfe einzugehen,
„Guido….der seit 40 Jahren auf die Barrikaden geht und….für die Polderdörfer kämpft….sitzt jetzt, wie er selbst sagt, tief in der Scheiße. Er hat zwei Söhne, die gerne in seine Fußstapfen treten würden, wofür ihn viele seiner Kollegen beneiden. Nun hat er bald keinen Bauernhof mehr“.
Wehmütig im Ton, sachlich nüchtern in der Beschreibung der „Entvölkerung“ des Dorfes und seines Umfeldes, nicht romantisch verklärend und dennoch eine „raue Idylle“ beschreibend, legt de Stoop eine überaus lesenswerte, autobiographische Beschreibung der ehemaligen und möglichen Verbundenheit zwischen Mensch und Land, Bauer und Bauernhof vor, gegen die er in krassen Farben die über alles hinweg gehende Gegenwart der Regeln, Gesetze, Gebote und willkürlich, behaupteten „wirtschaftlichen Notwendigkeiten“ kontrastreich setzt.
Das gewollte Ende einer Kulturlandschaft ohne Rücksicht auf Verluste