Mit „Ornithe – Vogelstimmen werden wach“ ist das zweite Erinnerungsbuch von Christa Hüppchen erschienen. Wieder reihen sich in der ihr eigenen, assoziativen Sprache Gedanken und Erinnerungen aneinander, nun über die fordernden Jahre als junge Mutter und Klinikärztin. Der zermürbende Arbeitsalltag, seine zersetzende Wirkung auf die Partnerschaft, aber auch frohe Stunden beim Basteln oder beim gemeinsamen Stromern durch die Natur; Warm und doch ungeschönt beschreibt die Autorin diese Zeit, „deren Fülle an Pflichten etwas taumeln ließ“ und die zurückblickend dennoch „eine wunderbare war“.
Wie schon bei „Nebelschleier legen sich auf den Strand“ belässt es die Autorin nicht bei der Schilderung ihrer Vergangenheit. Stattdessen nutzt sie die Retrospektive des eigenen Lebens, um anderen Frauen, anderen Schicksalen, anderen Zeiten Raum zu geben. Die biblische Eva, Ornithe, Maria, Zypriotinnen, die im Zypernkonflikt plötzlich zu Vertriebenen werden – mal zornig, mal voller Mitgefühl geht Hüppchen der Frage nach, was es bedeutet, in dieser Welt Frau zu sein. Für uns heute unfassbar ist das leidvolle Schicksal ihrer Großmutter, die allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas von der Gestapo gefangen genommen und gefoltert und deren ältestes Kind im Rahmen der Euthanasie vergast wurde.
Kraftquelle im Leben Christa Hüppchens ist die Poesie, vorallem die Gedichte des Renaissancedichters Enzio, auf dessen Spuren sie sich bei ihren kleinen Fluchten nach Bologna begibt. Sein Gedicht „Tempo“ ist dem Buch vorangestellt und führt als roter Faden durch die Kapitel. Leider funktioniert dieser rote Faden nicht, zu willkürlich reihen sich die Bilder aneinander, weswegen es von mir nur 4 Sterne gibt. Aber lesenswert ist das Buch auf alle Fälle!