Rezension zu "Picknick auf dem Eis" von Andrej Kurkow
Der 1996 in russischer Sprache und 1999 in der exzellenten deutschen Übersetzung von Christa Vogel erstmals erschienene Roman schildert leichtfüßig und mit Witz das von korrupten Abgeordneten, Neureichen und Mafiosi beherrschte Kiew dieser Zeit. Die Absurdität der Handlung kippt nie ins gänzlich Unglaubwürdige. Die Leserin begreift, wieviel Wahrheit hinter den geschilderten Ereignissen steckt:
Der Protagonist Viktor, ein „Schriftsteller, der zwischen journalistischen Versuchen und kleinen Prosaarbeiten steckengeblieben“ ist, teilt sich seine Wohnung mit dem Königspinguin Mischa. Mischa kam zu ihm, als der örtliche Zoo hungrige Tiere verschenkte, weil nicht genug Geld für deren Fütterung vorhanden war.
Viktors und Mischas beschauliche Zweisamkeit am Rande des Existenzminimums nimmt jedoch eine unerwartete Wendung, als Viktor einen gut bezahlten Job bei einer Zeitung erhält. Er soll Nachrufe auf bekannte Persönlichkeiten schreiben, die bei Abfassung der Nachrufe noch quicklebendig sind. Unter mysteriösen Umständen sterben einige davon bald. Andere folgen. Angeblich hält über Viktor jemand Einflussreicher die Hand, denn sicher fühlt sich auch Viktor selbst nicht mehr, zumal ihm eines der zwielichtigen Nachrufsubjekte die Tochter Sonja samt einem Batzen Geld übergeben hat. Als es brenzlig wird, werden Viktor und Sonja von einem hilfsbereiten Polizisten auf dessen Datscha untergebracht, wo sie Silvester verbringen und von wo sie, weil angeblich die Luft wieder rein ist, nach Kiew zurückkehren.
Für die kleine Sonja braucht Viktor ein Kindermädchen, denn die Nekrologe, die er schreiben soll, häufen sich. Auch dabei ist der Polizist behilflich. Er schlägt seine Nichte Nina vor, die ein Glücksgriff zu sein scheint. Geld hat Viktor nun genug, um für all das aufzukommen.
Doch auch der Pinguin verdient Geld, weil ausgerechnete die Trauergäste der von Viktor prophetenhaften ins Grab beförderten Menschen den Königspinguin als Begräbnisaufputz sehen wollen. Sie bezahlen gut für das Tier, das einem menschlichen Frackträger nicht unähnlich ist und somit die Feierlichkeiten aufwertet.
Das titelgebende Picknick auf dem Eis findet im winterlichen Kiew statt, wo der zugefrorene Dnepr einen Hauch von Antarktis vermittelt, der eigentlichen Heimat des Pinguins. Trotz Viktors Bemühungen wird das Tier zusehends schwächer und mit ihm die schützende Hand, die über Viktor ruht. Als Viktor erfährt, dass ein weiterer glückloser Schriftsteller das Kindermädchen Nina aushorcht, um Viktors Nachruf zu verfassen, ist es an der Zeit, an einer Exit-Strategie zu basteln. Ausgerechnet der behandlungsbedürftige Königspinguin, für dessen horrende Spitalskosten die Mafia aufkommt, bietet Viktor eine Fluchtmöglichkeit aus dem immer enger werdenden Netz, in das Viktor sich zu verheddern droht.
Einfach lesen, schmunzeln und hoffen, dass es im heutigen Kiew (nicht nur angesichts des Krieges) anders zugeht!