Rezension zu "DIE ONEDIN-LINIE: ERSTER BAND - DER KAPITÄN" von Cyril Abraham
Liverpool 1860. Die Stadt wird zur zweitgrößten Stadt des Empire. Hier hat die "Callon Line" ihren Sitz, in deren Sold der junge James Onedin steht - der jüngste Sohn des kürzlich verstorbenen geizigen Schiffsausrüsters Samuel Onedin. Der hatte den ärmlichen Krämerladen dem ältesten Sohn Robert und das Haus seiner Tochter Isabel vermacht. Während sich Robert trotz seiner stets quengelnden Frau Sarah recht wohl in seiner Haut fühlt, fühlen sich Isabel eingesperrt und James zu Größerem berufen.
Als der Reeder Thomas Callon dem jungen Onedin einen Bonus nicht auszahlen will, beschließt der ehrgeizige Seemann, sich selbständig zu machen. Ihm fällt der stabile aber heruntergekommene Frachtsegler "Charlotte Rhodes" ins Auge... doch wie finanzieren? Seine Ersparnisse reichen nicht - dennoch sucht er den alkoholkranken Besitzer des Seglers auf: Captain Webster. James erhofft sich aufgrund der Erkrankung des Captains leichte Verhandlungen, hat aber die Rechnung ohne die sauertöpfische jungfräuliche Tochter Anne gemacht. Diese sieht ihre Chance gekommen, nicht als bettelarme Unverheiratete zu enden: James solle sie heiraten und sie würde die "Charlotte Rhodes" als Mitgift in die Ehe einbringen...
Damit hatte der "Liverpudlian" Cyril Abraham (1915-1979) im Auftrag der BBC eine TV-Serie geschaffen, die nicht nur die Fernsehanstalt und die Landsleute in den 1970ern im Sturm nahm und auf insgesamt 91 Folgen kam, sondern Erfolge in über 40 Ländern feierte und in Österreich und Deutschland Kultstatus erlangte. Der Autor verfasste 22 Drehbücher zur Serie und wandelte seine Skripten dann zu Romanen um. "The Shipmaster" erschien erstmals 1972 und präsentiert keineswegs das Drehbuch als Roman. Abraham erweitert die Geschichte um die Onedins, den Konkurrenten Callon und die Liebesaffären Isabel's mit Kapitän Daniel Fogarty und dem Reedersohn Elmer Frazer und erzählt straff und mit detailliertem Wissen um die Schifffahrt des 19. Jahrhunderts eine wunderbare Familiensaga eingebettet in die raue Welt der Segelschiffe, die ihrerseits mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt selbst harten Überlebenskämpfen entgegen sehen. Kurzweilig, emotional und spannend lassen diese neuaufgelegten Zeilen (der "Apex"-Verlag weist auf eine durchgesehene Neuausgabe hin - schludert aber wie viele andere Verlage jüngster Zeit beim Lektorat) jenen Lesern, die die Fernsehserie kennen, sofort wieder die Gesichter des unvergleichlichen Peter Gilmore als James Onedin oder der Anne Stallybrass als seine harsche und wundervolle Anne Webster/Onedin vor dem inneren Auge erstehen und man hört neben der steifen Brise in den Segeln und der peitschenden See die wunderbaren Klänge aus Khachaturian's "Spartacus" (Adagio of Spartacus and Phrygia)... der Titelmelodie der Serie. Interessehalber sei angemerkt, dass auch bei der Wiederveröffentlichung der Romane - wie schon zuvor in der TV-Serie - die Originalnamen von Elizabeth Onedin und Albert Frazer in der deutschen Version zu Isabel Onedin und Elmer umbenannt wurden... aus welchen Gründen auch immer...
Ein Lesespaß für Historien-, Romantik- und Seefahrtfans... Der raue Wind längst vergangener Tage voller Aufbruchstimmung und Novitäten.