Der gastrosexuelle Mann ist ein Kunstobjekt, eine hübsche Erfindung einer Journalistin, wie Carsten Otte selbst schreibt. Sexuell ist daran nichts – oder alles, je nach Standpunkt. Für den Psychoanalytiker kann alles sexuell sein bis hin zum Wunsch nach dem Tode. Das hat aber mit der Leidenschaft für das Kochen herzlich wenig zu tun. Dabei kann Essen und Genuss schon zu verqueren Überlegungen führen. Essen hängt mit oralen Gefühlen zusammen, mit Einführen in den Körper, Zerlegen von Fleisch, doch das ist nicht ansatzweise Gedankengut des Buches. Carsten Otte versteht den Begriff des gastro‚sexuellen‘ aber auch nicht als Fetisch, als sexuell im engeren Sinne – auch wenn ein Kapitel etwas verschämt mit dem Fetisch ‚Vorspeise‘ aufmacht. In dem Buch läuft kein Koch mit Beule in der Schürze rum. Kurzum, Sexualität ist nicht Gegenstand des Buches. Hier ist der Autor der Begriffsschöpfung auf den Leim gegangen und fühlt sich genötigt, immer wieder die Beziehung zur Sexualität herzustellen, womit er zwangsläufig ins Nirwana läuft. Das vorgestellte Hobby ist für Männer - vielleicht - neu, vielleicht aufregend, aber nichts anderes als Briefmarkensammeln oder Modellbau. Eine blaue Mauritius kann sexy sein, dadurch wird ein Briefmarkensammler aber keine Sexbombe, er bleibt Philatelist. Gut, es gibt sexy Briefmarkensammler, aber die muss man erst mal finden...
Aus dieser Falle kommt der Autor lange nicht raus. Eigentlich will er über Sexualität nicht schreiben, weiß aber nicht, wie der das machen soll. Er benennt Kapitel zweideutig mit typischen Anspielungen wie ‚Scharf und hart‘ oder ‚Dicke Dinger‘, um sich dann jedes Mal herauszuwinden, dass das mit Flachlegen und den Chippendales nichts zu tun hat. Noch nach dutzenden, hunderten Seiten kommt immer wieder die Erläuterung, was der Autor jetzt mit seinem Buch will oder nicht will, versucht er selbst eine Definition dessen zu geben, was der Leser in Händen hält. Das geht gar nicht. Wenn der Autor definieren muss, was er macht, ist er auf der falschen Baustelle. Das Buch muss für sich sprechen, nicht der Autor für das Buch. Eine Verteidigungsschrift im eigenen Buch oder die Erklärung, warum man jetzt aus Gründen der Essaykunst noch dieses oder jenes Argument bringt, zeugt von der eigenen Unsicherheit. Der unsicheren Herangehensweise dürfte es auch geschuldet sein, dass der Aufbau der Kapitel ständig nach demselben Muster abläuft. Es werden irgendwelche Leute aus der Szene vorgestellt, die lange und ausführlich zitiert werden, zu technischen Geräten, zu Produktion und Versand von Lebensmitteln. Eigene Ideen fehlen, Dritte haben das Wort. Stets wird die Alibifrage gestellt, ob sie ‚gastrosexuell‘ sind. Sie antworten brav mit ja. Nun, ich bin es nicht, auch wenn ich gerne koche. Aus Sicht von Carsten Otte bin ich eine Frau.
So, Schluss mit der negativen Kritik! Kommen wir zum Positiven. Man muss sich durch die ersten hundert Seiten des Buches durchbeißen, dann wird der Autor lockerer, das vermeintlich Sexuelle ist zumindest inhaltlich mehr oder minder durch und es wird amüsant. Ich vermute, irgendwann hat der Autor aufgegeben, nach einem großen Sinn für sein Werk zu suchen und just ab dem Zeitpunkt kommt Freude auf. Der Autor erzählt von sich, von seinen eigenen Erfahrungen, von Kochvereinen, von einer wilden Chillisession, einem lustigen Freund, der vom Kommunisten zum Feinschmecker wurde. Jetzt wird erzählt und nicht mehr definiert oder begründet, und es wird gut erzählt. Aus dem etwas missglückten Essay wird Unterhaltung, garniert mit nettem Hintergrundwissen für den Hobbykoch. Und hier würde ich das neue - perfektionistische- Kochen auch einordnen. Es geht (nur) um gute Unterhaltung, nicht (nur) um Ernährung und schon gar nicht (nur) um Sexualität. Dass Männer von Unterhaltung eine andere Vorstellung haben als Frauen, das zeigt Carsten Otte mit leichter Note zum sympathischen Machismo auf. Hätte man den Begriff ‚gastrosexuell‘ sofort eliminiert, am besten gar nicht verwendet, wäre das Buch wesentlich besser ins Laufen gekommen.
Der Hobbykoch – auch ich als verkappter Kochtyp ‚Frau‘ - wird aber belohnt, wenn er durchhält. Man erfährt, was die besten Kochbücher sind, wo man im Internet auch die abgefahrenen Dinge bestellt etc. Ergebnis des Durchhaltens: ich habe gleich mal in einem Internetshop bestellt und auch noch zwei Kochbücher gekauft. Zwar nicht die Kochbücher, die Carsten Otte angesprochen hat, sondern andere, die mir beim Nachschlagen untergekommen sind. Was aber egal ist. Wobei ich zugeben muss, dass ich von den zwei Kochbüchern nur eines für den echten Mann gekauft habe (in Englisch und mit Anleitung, wie man die Wildgans schießt, ausnimmt und welche Zigarre da am besten dazu passt). Bei dem Kochbuch für die japanische Küche habe ich kurz überlegt, ob ich das Buch nehme, das Carsten Otte empfohlen hätte oder das für die Hausfrau. Ich habe mich für das Hausfrauenkochbuch entschieden. Das andere wäre 250 Euro teurer gewesen. Aber ich bin nach Carsten Otte ja auch die typische Frau am Herd...und bitte: wenn man erst einmal mit den japanischen Kochgeräten anfängt, bewegt man sich in einer anderen Liga. Also lieber japanische Hausmannskost.
Wer soll das Buch kaufen? Jeder, der gerne kocht und auch mal ein paar Seiten überspringen kann.