In einem Fischschnellimbiss begegnet der Protagonist Robert von Melis einer Wildfremden. Beide treffen in einer kaum nachvollziehbaren Schnelligkeit und Spontaneität die Entscheidung, am darauffolgenden Tag gemeinsam an die niederländische Nordsee zu fahren.
Der Leser entwickelt ähnlich wie der Protagonist eine wachsende Neugierde auf die erst an fortgeschrittener Stelle im Roman namentlich Benannte, eine Erwartung und Erwartungsangst, die ihn bis zum letzten Satz nicht mehr loslässt und das Gefühl entstehen lässt, als unsichtbarer Dritter dabei gewesen zu sein.
Der Wuppertaler Schriftsteller Christian Oelemann webt in seinem Roman „Dumme Gedanken“ mit einer beeindruckenden psychologischen und sprachlichen Subtilität ein immer dichter werdendes Gespinst von erfüllten und enttäuschten Erwartungen, Sehnsüchten und Projektionen. Ähnlich wie die Klangteppiche, die sich in Keith Jarretts Konzerten ausbreiten und den Zuhörer beim Hören und Wiederhören immer stärken bannen, lebt der Roman von vielen Beinah-Wiederholungen, die jedes Mal einen neuen Gedanken eröffnen und niemals langweilen.
Mit großem Einfühlungsvermögen beschreibt Oelemann mit den beiden Protagonisten seines Romans zwei Menschen in der zweiten Lebenshälfte, die sich im wahrsten Sinne des Wortes gemeinsam auf den Weg gemacht haben, um all das Ersehnte und Verpasste der ersten Lebenshälfte nachzuholen. Ein zwei Tage dauerndes Unterfangen mit vielen Situationen einer berührenden bis unerträglichen Intimität und mit einem stimmigen melancholischen Ausklang. Ein Unterfangen, das gewiss in beiden Suchenden und Sehnenden bleibende Spuren hinterlässt – genauso wie im Leser, der womöglich damit beginnen wird, über seine eigenen ungelebten Träume und gescheiterten Liebesversuche nachzudenken.
Ein Roman, der nachklingt, ähnlich wie die Klaviermusik von Keith Jarrett.
Christian Oelemann
Alle Bücher von Christian Oelemann
Isabellas Welt
Dumme Gedanken
Für Mädchen verboten: Verdammt, sie liebt mich!
Drei Fälle für Erich
Freundschaftspiel
Nur für Erwachsene
Die Wettergang
Neue Rezensionen zu Christian Oelemann
»Frieder nahm den Koffer zwischen seine Hände und schüttelte ihn vorsichtig; nichts darin klapperte, doch angesichts des beachtlichen Gewichts konnte er unmöglich leer sein. Vermutlich war er im Gegenteil mit irgendetwas prall gefüllt. Frieder erwog zwei Möglichkeiten: Die erste bestand darin, den Koffer am Tresen beim Cheffe abzuliefern, was normal gewesen wäre, wie er sich später eingestand. Er entschied sich jedoch für die zweite, nahm seinen Fund an sich und verließ damit eilig das »Capri«, vom Rest der Feiernden unbemerkt. Warum tat er das? Weil es ihm wirklich die Langeweile vertrieb?
Er musste an einen Roman von Albert Camus denken, den Piet ihm geliehen und zur Pflichtlektüre erklärt hatte. In »Der Fremde« wird ein Mörder vor Gericht nach dem Grund seiner Schandtat gefragt. »Wegen der Sonne« lautet seine Antwort, und ähnlich wie dieser Mörder kam sich Frieder nun selbst vor. Bei ihm war es allerdings die pure Langeweile und nicht die Sonne, die ihn zum Täter werden ließ.«
Für die Langeweile, die Frieder quält, war eine sich gefühlt ewig hinziehende Familienfeier verantwortlich, an der er teilnehmen musste. Die Mitnahme des Koffers, dessen Besitzer gerade einem Herzinfarkt erlegen war, sorgt nur kurzzeitig für ein schlechtes Gewissen bei Frieder. Danach fesselt ihn der Inhalt, der im Wesentlichen aus einem Ordner voller ausgedruckter Geschichten besteht, umso mehr. Da sich mittlerweile herausgestellt hat, dass der Verstorbene ein berühmter Schriftsteller war, halten Frieder und sein Freund Piet die Ausdrucke für dessen nächstes, noch unveröffentlichtes Werk. Frieder kommt das gerade recht, denn bei dem Versuch, seiner neuen Nachbarin – einer sehr talentierten jungen Pianistin – zu imponieren, hat er sich selbst als Schriftsteller ausgegeben. Selber geschrieben hat er aber noch nichts…
Als ich mit diesem Buch begann, wusste ich eigentlich gar nicht so recht, was auf mich zukommen würde. Doch hatte ich mit dem Autor schon sehr gute Erfahrungen gemacht und kann jetzt nach der Lektüre sagen, dass es sich wirklich gelohnt hat!
Was treibt einen jungen Mann von 17 Jahren so um? Die Hormone natürlich, ohne Zweifel. Aber auch romantische Gefühle, Freundschaft, Ärger mit der Familie und in Frieders Fall die Liebe zum Klavierspiel. Und als wenn das noch nicht genug wäre, sind die persönliche Entwicklung, Selbstzweifel und Unsicherheiten große Themen für einen jungen Menschen. Wobei: Mangelndes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl bleibt für viele das ganze Leben hindurch ein Knackpunkt. Und wer mag schon das Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden? Christian Oelemann beschreibt all dies sehr deutlich und gleichzeitig so lebendig, dass ich mich immer mitten in der Handlung fühlte und selbst von Stellen, an denen eigentlich gar nicht so viel passierte, gefesselt war. Einzig die amourösen Abenteuer Frieders mit diversen (aus seiner Sicht) älteren Frauen, erschienen mir leicht überzogen. Aber nun gut, die Hormone halt ;-)
Gefreut habe ich mich zudem über „Gastauftritte“ anderer Autoren oder Romanfiguren und über reichlich Wuppertaler Lokalkolorit. Raffinierte Wortspielereien und viele witzige Einfälle, sowohl stilistisch als auch inhaltlich, machten für mich das Lesevergnügen perfekt.
Fazit: Sehr lesenswert und unterhaltsam, macht Spaß beim Lesen und gibt Stoff zum Nachdenken. Für Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene.
»Es scheint wichtiger zu sein, etwas getan zu haben als es zu tun. Ganz so, als ob das Perfekt die entscheidendere Zeit wäre und nicht das Präsens.«
»Fast alles, was sie hörte, konnte sie in Noten festhalten. Wenn zum Beispiel jemand schimpfte, hörte sie kaum, worüber, weil sie auf die Sprechmelodie achtete und sie als Notenschrift auf ihrer inneren Leinwand sah. Herr Korngold etwa schimpfte meist im Fünfvierteltakt und vom tiefen A aus. Ihr kleiner Bruder Tristan quengelte im Dreivierteltakt, meist mit einem hohen Dis beginnend. Und wenn er – was er gerne machte – beim Essen rülpste, tat er es in einem satten Gis.«
Isabella hat eine besondere Begabung: Sie kann Töne sehen. Und da sie schon als kleines Mädchen ganz nebenbei Noten lernte, kann sie das Gehörte auch niederschreiben. Viele, viele Notenhefte füllt sie mit dem Gesang einer Amsel – allerdings tut sie dies heimlich, denn Isabella ist schon klar, dass sie anders ist als andere Menschen. In ihrer Familie hält man sie für die einzige Unmusikalische, weil sie keine Lust hat, ein Instrument zu spielen. So lebt Isabella ein Leben in ihrer eigenen Welt, bis sie eines Tages einen Luftballon mit einer Postkarte findet – von einem Jungen geschrieben, in dessen Leben Musik scheinbar eine ebenso große Rolle spielt wie in ihrem…
Als ich hörte, um was es in diesem Buch geht, war mir klar, dass ich es unbedingt lesen muss. Ich liebe Musikromane und ich liebe besondere Geschichten über besondere Menschen. Diese hier ist eine solche.
Isabella ist Synästhetikerin, nur ahnt sie vermutlich nicht einmal, dass es einen Namen für ihre Besonderheit gibt. Die Töne, die sie sieht, sind für sie Normalität, sie kennt es nicht anders. Für einen Nicht-Synästhetiker wie mich ist ihre Fähigkeit faszinierend, erscheint fast ein wenig magisch. Daher finde ich es sehr reizvoll, mithilfe eines Buchs in diese besondere Welt, in Isabellas Welt, hineinschnuppern zu können.
Isabellas Welt besteht aus Tönen und auch in diesem Buch dreht sich alles um Musik. Während die 10jährige Protagonistin Amselnoten schreibt und nach dem gleichgesinnten Jungen sucht, bereitet sich ihre Geige spielende Schwester auf einen Wettbewerb vor und ein 75jähriger Mann im Rollstuhl, seines Zeichens gefeierter Komponist, feilt an einem neuen Meisterwerk. Am Ende werden alle Fäden zusammenlaufen. Apropos… das Ende ist ein sehr glückliches Ende und vermutlich ein wenig realitätsfern. Aber Träumen muss schließlich auch mal erlaubt sein. Außerdem ist dies ein Jugendbuch, das ermutigen kann, mit der eigenen Besonderheit nicht zu hadern, sondern sie anzunehmen.
Leicht und lebendig geschrieben, ein Buch, das in einem Rutsch gelesen werden möchte. Der geringe Umfang macht das Buch auch für Leser attraktiv, die zum ersten Mal einen Musikroman „ausprobieren“ möchten. Der Stil spricht (als Jugendroman) natürlich junge Leser an, als erwachsener Leser kann man es aber genauso genießen. Und Lachen! Grund genug dazu gibt es, denn Lebensfreude springt einem aus allen Seiten entgegen. Und wenn dann noch der Klassenlehrer in C-Moll pupst… ;-) Farbenfrohe und ausdrucksstarke Illustrationen sind passend zu den Texten eingestreut und runden das Lesevergnügen ab.
Fazit: Wunderschön. Zum Staunen, Träumen und Lachen. Wer Musik mag, wird dieses Buch lieben.
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