Cover des Buches Gefühle sind keine Krankheit (ISBN: 9783550081958)
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Rezension zu Gefühle sind keine Krankheit von Christian Peter Dogs

Herbstlich. (Rezi-Ex.)

von EvyHeart vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Herbstlich.

Rezension

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EvyHeartvor 7 Jahren
Als Mensch, der schon einige Bücher zum Thema "Psychologie" gelesen hat, war ich mir nicht sicher, ob ich "Gefühle sind keine Krankheit" anfordern sollte. Letztlich hat mich fasziniert, dass das Buch von den "Gefühlen" ausgeht, nicht von den Krankheiten. Ich dachte, dass ich erfahre, welche Gefühle es gibt, wie sie funktionieren und wie ich noch besser Zugang zu ihnen finde.

Nach dem Ende verspürte ich ein Gefühl wie nach einer Reiswaffel: Ich hatte etwas im Kopf (oder Magen), aber nicht das Gefühl, etwas gelernt zu haben. Das Buch konzentriert sich nicht auf Gefühle, sondern gibt einen Überblick über Störungen, Behandlungsmöglichkeiten und was im deutschen Therapie-System verbessert werden kann. Von allem ein bisschen, nichts tief genug. Der Reihe nach.

Worum geht es?


Ausgehend vom Inhaltsverzeichnis:

Teil 1 - Gehirn, Botenstoffe, Autorenbiografie, Gefühle + Krankheiten (ca. 44 % des Textes, das titelgebende "Gefühle sind keine Krankheit" nimmt 19 % ein)

Teil 2 - Therapiekritik, Therapeuten finden, Therapiemethoden (ca. 25 %)

Teil 3 - Was man selbst tun kann (ca. 7 %)

Teil 4 - "Eine Klinik nach meinen Vorstellungen" (11 %)

Das Buch gibt einen guten Überblick über die Krankheiten und besonders bei Essstörungen hebt es hervor, dass hinter dem gestörten Essverhalten eine soziale Phobie steckt oder die Unmöglichkeit, mit Konflikten umzugehen. Außerdem plädiert der Erzähler dafür, Gefühle zuzulassen, sie sogar zu genießen.

Im zweiten Teil berichtet der Erzähler nicht nur vom Un-Sinn der Psychoanalyse und Problemen bei der Ausbildung, er erzählt auch, dass Psychotherapeuten verantwortlich für ihre Patienten sind. Es geht u.a. um kürzere Therapien und Therapeutenwahl. Gut gefällt mir, dass nur wenige krasse Negativbeispiele geschildert werden. Dennoch finde ich es schade, dass die Kritik nicht deutlicher ausfällt.

Im dritten Teil geht es um Ruhe, um Wagnisse und darum, seine Beziehung zu pflegen. Letzteres ist für Singles schwer :-)

Der vierte Teil greift stärker die Biografie des Autors auf. Der erzählenden Stil passt hier weniger, weil die Änderungen und Unterschiede zu "normalen" Kliniken weniger deutlich werden.

Aufgefallen ist mir dass es oft um Kinder geht, die durch die Gefühle ihrer Eltern ein Problem entwickelt haben. Das korrespondiert mit der These, dass Kinder/Twentysomethings der heutigen Generation von ihren Eltern so verwöhnt werden, dass sie nicht allein leben können bzw. überfordert sind. Ich denke, dass man auch das nicht verallgemeinern kann und es ärgert mich, dass dieses Klischee bedient werden musste.

Wie wird erzählt?


Der Erzähler spricht meist sachlich und notiert einige Beispiele. Gut gefallen hat mir, dass er sich auf die Ursachen und die Behandlung konzentriert, aber nicht zu ausschweifend wird. Das Buch wirkt an diesen Stellen fokussiert.

Es hat mich überrascht, dass der Erzähler sehr deutlich in Erscheinung tritt, aber der Autor nicht so stark. Die Biografie ist relativ kurz und auch sein Klinikkonzept, das der Autor teilweise umgesetzt hat, wird nur wenig "beworben". Es gefällt mir, dass der Erzähler Fehler eingesteht, das macht ihn für den Leser sympatisch.

Spürbar war jedoch eine Erwartungshaltung, Druck, die der Erzähler gegenüber den Patienten einnimmt. Beispielsweise lehnt er es ab, wenn Patienten mit vielen verschiedenen Medikamenten behandelt werden, aber er plädiert dafür, die Patienten zu führen. Im Beispiel auf S. 76/77 animiert er eine schwer depressive Patientin, Medikamente zu nehmen. Für manche Patienten kann das hilfreich sein, aber nicht für jeden. Ich empfinde den Erzähler nicht als herrisch, nicht als überheblich, aber als jemand, der Erfahrungen gemacht hat und der seine Meinung gehört haben will. An manchen Stellen war mir das "ich" zu deutlich.

Insgesamt ist das Buch gut und flüssig zu lesen, es gab nur wenige Stellen, an denen ich stolperte. "Claquer" kannte ich nicht.

Fazit


Ein bisschen geärgert hat mich, dass der Titel und der Klappentext einen Ratgeber bewerben, der keiner ist. Das Buch ist oft zu sachlich, eine Beziehung zum Leser konnte ich selten spüren und die Tipps für den Leser werden kaum betont. "Gefühle sind keine Krankheit" liefert interessante Denkanstöße, ist aber nicht darauf ausgerichtet, Probleme zu lösen.

Ich würde das Buch nicht jemandem empfehlen, der in einer Krise Bestand sucht. Ich würde es jemandem empfehlen, der sich für Psychologie interessiert und 2 Stunden damit verbringen will.


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