Peinlichkeiten en Masse
Jeder kennt das. Das „Danebenhauen“, das „Entgleisen“. Diese Dinge zu tun, die einem im Nachgang die Schamesröte ins Gesicht bringen.
Insofern kann man die erste Frage Saehrendts im Buch durchaus mit „Nein“ beantworten. Letztendlich leben wir nicht in einer Gesellschaft, der „nichts mehr peinlich ist“. Andererseits, dieser Beobachtung des Autors kann man durchaus zustimmen, nehmen die Formen gerade des öffentlichen Auftretens vieler durchaus an immenser Peinlichkeit zu. Nicht nur in merkwürdigen Doku-Soaps und Talk-Shows bestimmter Sender, in denen sich bestimmte Menschen fast von allem entblöden, was an Geschmack noch allgemein vorhanden sein mag.
Auch Teile bestimmter „Prominenz“ (der C, D oder noch tieferen Ebene) ebenso, wie massiv sich selbst überschätzende Casting-Teilnehmer lassen mittlerweile nichts mehr aus, um in irgendeiner Form ins Gerede zu kommen.
Dies spricht aber nicht dafür, dass es keine Peinlichkeiten mehr gäbe, sondern eher dafür, dass manchen alle Peinlichkeiten für ein wenig Glitzerlicht einfach egal sind. Sicher mit motiviert aus der gesellschaftlichen Erfahrung heraus, dass noch lange nicht jeder tief fällt, der hoch stapelt, sondern im Gegenteil, ein „an sich abperlen lassen“ von Blamagen und Peinlichkeiten in durchaus zahlreichen Fällen einfach zu einer anderen, gutdotierten, Aufgabe führen.
Im Umgang mit der Peinlichkeit gibt es also ein differenziertes Bild. Unter anderem erläutert Saehrendt im Buch durchaus, woran das liegen könnte.
In seinem munteren und unterhaltsamen Stil legt Christian Saehrendt den Finger unnachgiebig auf die Wunden der Blamagen und Peinlichkeiten, wobei er zwar durchaus auch „peinlich prominent“ in den Fokus rückt, beileibe aber nicht bei einer einfachen Aneinanderreihung kleinrer und größerer Skandale stehen bleibt. Durchaus vertiefend legt er im Buch auch die geschichtliche Entwicklung der Blamage vor und wertet diese als eine „Errungenschaft der Zivilisation“, als ein wesentliches Moment sozialen Lebens, das als Klammer eine Gesellschaft mit zusammenhalten kann. Löst sich diese Klammer, dann wird der Einzelne auch nicht mehr in gleicher Stärke gezwungen, sein Verhalten gleichmäßiger und stabiler zu regeln. Mit Folgen für die gesamte Gesellschaft.
Neben diesen grundlegenden Betrachtungen kommen aber natürlich die vielfachen Formen möglicher Blamagen und Peinlichkeiten durchaus zu Wort. Von Flirtdebakeln bis zu Pickeln und anderen körperlichen „Peinlichkeiten“, vom „Deutschen im Ausland“ bis zur gewollten Peinlichkeit als PR Instrument oder auch die „peinlichen Blamagen Kohls in den 80ern“ (und was daraus wurde vor allem).
Interessant zum Ende des Buches hin ist die Verortung des „peinlichen Gefühls“ in einer Mittelschicht, während der „Adel“ und „neureiche Gangster und Tycoons“ sich mit einem „niemals erklären, niemals entschuldigen“ souverän über solche „Gefühlsniederungen“ hinwegzusetzen scheinen. Ein wenig von beidem bleibt über nach der Lektüre. Eine Ahnung dessen, dass ein völlig ungehemmtes „sich gehen lassen“ einem selber nicht gut tun würde, aber auch, dass ein Mehr an Wagnis und Coolness durchaus den eigenen Erfahrungsschatz und das eigene Leben bereichern könnten.
Eine durchaus anregende Unterhaltung, wenn auch keine „lebensverändernde“ Lektüre.