Cover des Buches Der Platz an der Sonne (ISBN: 9783608962901)
MrsAmys avatar
Rezension zu Der Platz an der Sonne von Christian Torkler

Ein Roman, ein Gedankenspiel

von MrsAmy vor 6 Jahren

Rezension

MrsAmys avatar
MrsAmyvor 6 Jahren

Nach dem 2. Weltkrieg kam kein Frieden, sondern ein neuer Krieg, der Deutschland spaltete und ganz Europa in Schutt und Asche legte. Auch Jahrzehnte nach dem großen Frieden von 1961 geht es mit dem Wiederaufbau einfach nicht voran. Korruption und Machtgier verhindern konsequent das Wiederaufblühen der Wirtschaft und so leben große Teile der Bevölkerung in ärmlichen Verhältnissen und müssen extrem hart für ihr Existenzminimum arbeiten. Unter ihnen – mitten in Berlin – ist auch Josua Brenner. Bereits von Kindesbeinen an, muss er seine Mutter beim Kampf um das tägliche Brot unterstützen. Doch er schlägt sich wacker, hat immer wieder neue Ideen und Einfälle, wie man zu Geld kommen kann. Egal, wie oft er Fehlschläge erleidet, Josua steht immer wieder auf. Doch irgendwann reicht es auch ihm und schließlich sieht er keinen anderen Ausweg mehr, als eine Flucht ins reiche Afrika zu wagen.

„Der Platz an der Sonne“, Christian Torklers Debutroman, ist vor allem ein interessantes Gedankenspiel. Während Afrika seit Ende des zweiten Weltkrieges zu Reichtum und Wohlstand gekommen ist, ist das Leben in Europa immer härter geworden. Der Kontinent ist zersplittert, die Grenzen sind streng bewacht und jeder suhlt sich in seinem eigenen Elend. An der Herrschaft sind Autokraten, die Demokratie existiert wenn dann nur auf dem Papier. Afrika dagegen ist ein freier Kontinent und innerhalb der Afrikanischen Union kann sich jeder ungehindert bewegen. Mit immer mehr Neid schaut Josua auf die „Bongos“ – reiche Afrikaner, die immer wieder nach Berlin kommen und dort sinnlose Unsummen ausgeben, um irgendwelche Entwicklungsprojekte aus der Taufe zu heben. Die Projekte, wie das Geld versinken – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Torklers Roman beinhaltet zwei Teile, wobei Teil 1 mehr Seiten in Anspruch nimmt. Es ist Josuas Brenners Geschichte, die er im Übrigen selbst niederschreibt – als Zeitvertreib in einer Flüchtlingshaftanstalt in Afrika, während er auf seinen Bescheid wartet – von der Geburt bis zum Entschluss seiner Flucht. Anfangs hat mich vor allem die schnoddrige Schreibart gestört, aber man gewöhnt sich doch recht schnell an Brenners Ton, der sehr gut zu seinen gesamten Lebensumständen und zu seinem Charakter passt. Brenner würde man heute wahrscheinlich als Workaholic bezeichnen, wobei mir nie ganz klar geworden ist, ob er weniger Arbeiten würde, wenn es seine Situation zulassen würde. Geld ist sein Antrieb, und er möchte möglichst viel davon. Dass er dabei Frau und Kind vernachlässigt nimmt er doch billigend in Kauf. So zumindest kommt die Figur Josua Brenner herüber, den Torkler hat seine Figur kein wirkliches Innenleben gegeben. Sie ist wenig reflektiert, Gefühlsregungen extrem selten wirklich erkennbar und auch aus seinen Handlungen nicht wirklich ableitbar. So blieb bis zuletzt eine starke Distanz zu Brenner, dessen Beweggrund ein richtiges großes Ding mit seinem Kumpel, der bereits Jahre zuvor den Weg nach Afrika in Angriff genommen hatte, auf dem schwarzen Kontinent zu drehen, seltsam einfach anmutet. Natürlich lässt er viel zurück, allein man konnte es nicht spüren. So vergibt Torkler hier extremes Potenzial. Auch die ständige Wiederholung der Umstände (alles korrupt, alles zerstört, alles nahezu ohne Hoffnung) ist am Ende nicht mehr eindringlich, sondern nur noch ermüdend. Zudem fragt man sich natürlich beim Lesen im zunehmenden Maße, ob in Afrika wirklich derartiger Zustände herrschen. Und irgendwie hat mich dieser ständige (im Kopf stattfindende) Vergleich zwischen Realität und Fiktion immer mehr frustriert. Ich hatte das Gefühl, dass mir der Autor diese Ansicht aufdrücken will, mir aber schlichtweg echtes Wissen dazu fehlt. Natürlich sieht man immer mal etwas in den Nachrichten, aber Länder sind vielschichtig, es gibt nicht nur Gutes und Schlechtes, nicht nur Reiche und Arme, es gibt so viele Grautöne dazwischen.

Letztlich weiß ich noch immer nicht, was ich von diesem Roman halten soll. Während er mir anfangs gar nicht gefallen hat, war ich dann doch richtig drin in der Geschichte, aber so richtig fesseln konnte mich Torkler eben nicht. (Muss ich mir jetzt deswegen schlecht vorkommen, weil mich eine Flüchtlingsgeschichte, wie sie wahrscheinlich tagtäglich so in Afrika tatsächlich passiert, nicht mitgerissen hat?) Mit solch einem Buch ist es so schwierig, es hält einem den Spiegel vor, aber man ist wegen den vielen Diskussionen zu dem Thema, zu den realen Auswirkungen, die extrem vielgestaltig sind, gar nicht mehr richtig in der Lage, eine wirklich fundierte Meinung zu haben.

Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks