Rezension zu "Die Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salome" von Christiane Wieder
Die Weiterdenkerin
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Lou Andreas-Salomé - ein Name der unwillkürlich Assoziationen weckt: Muse, Geliebte, Femme fatale. Was hatte diese Frau an sich, die sich im Dunstkreis berühmter Männer ihrer Zeit bewegte und die im Sinne Nietzsches, jenseits von Gut und Böse stand? Welche Faszination ging von dieser mit einem unglaublichen Intellekt gesegneten, russischen Generalstocher aus, die "in fast ärgerlicher Weise schon immer vorweg weiß, was kommt, und worauf es hinaus soll.", wie es ihr langjähriger Freund Paul Reé einmal treffend formulierte. "Sie ist in gewissem Sinne eine legendäre Gestalt; geeignet als Romanfigur, als Keimpunkt für Legendenbildungen (Böllerschüsse in Sankt Petersburg und ein Glückwunschschreiben des Zaren zu ihrer Geburt, Begegnungen mit Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke, Sigmund Freud) und gilt als eine Art Geheimtipp für die Fundierung einer sozusagen 'ungeschriebenen', aber doch präsenten feministischen Psychoanalyse in der Frühzeit der internationalen psychoanalytischen Bewegung.", beginnt Dr. med. Christiane Wieder ihre kompakte Abhandlung über diese ungewöhnliche und kluge Frau. Lou Andreas-Salomé bewohnte offensichtlich nicht wie die meisten Menschen ebenerdige geistige Ein- bis Dreizimmerappartements, sondern ihr Denken war platzgreifend.
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Christiane Wieder beschreitet einen anderen Weg, um dieser magischen Gestalt gerecht zu werden und deren größtenteils einseitig geprägte Geschichtsschreibung zu korrigieren. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie betrachtet Lou Andreas-Salomé zwar gleichfalls aus dem magischen Dreieck dreier berühmter Männer heraus, aber sie setzt vor allem deren psychoanalytisches Werk in den Fokus ihrer Betrachtungen. Gerade aus diesem Gesamtkontext heraus "erschließt sich zunehmend ein anderes und tiefergreifendes Verständnis ihrer Texte.", so Wieder. "Dabei kristallisiert sich ein nicht weniger faszinierendes, wenn auch komplexes Bild der Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé heraus, deren Gedanken und Konzepte in entscheidenden Punkten eben gerade nicht mehr mit der Freud'schen Lehre kompatibel sind."
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Gegliedert in zwei Teile, richtet Christiane Wieder zunächst ihr Augenmerk auf die Beziehung von Lou Andreas-Salomé zu Sigmund Freud. Dabei werden die Motive untersucht, die die Protagonisten jeweils einander zuwenden ließen und wie sich diese Beziehung gestaltete bzw. welche Bedeutung sie füreinander hatte. Im Anschluss setzt sie sich mit dem ganz Eigenen in den Texten Salomés auseinander. Der zweite Teil untersucht, inwieweit die Begegnung mit Rainer Maria Rilke ihr Verständnis der Psychoanalyse geprägt hat. Und über allem schwebt die große Frage, "wie sich das psychoanalytische Werk von Lou Andreas-Salomé im Spannungsfeld dieser geistigen Antipoden entwickelt hat."
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Entstanden ist ein wissenschaftlich-analytisches, aber trotzdem sehr gut lesbares Buch, das sich vornehmlich mit dem im Spiegel der Seele dieser faszinierenden Frau entstandenen Werk auseinandersetzt. Ein Werk, "welches aus vielerlei Beziehungen gespeist wurde und in ebenso vielfältigen Beziehungen Ausdruck fand." Christiane Wieder gelingt es ausgezeichnet, vor allem die Dualität von Lou Andreas-Salomé herauszuarbeiten: auf der einen Seite - wie Freud sie bezeichnet hatte - eine Versteherin, auf der anderen eine "Vermittlerin par excellence". "Sie nahm von beiden etwas auf, integrierte und gestaltete es in ihrer ganz eigenen Art..." Dabei verliert sie jedoch niemals aus den Augen, was diese Frau zeitlebens gesucht hat: "die Begegnung mit dem Anderen, die Sehnsucht nach dem Du, die Suche nach sich selbst, dem ganz eigenen, was am Gegenüber erst wirklich zu werden vermag, um sich zu erinnern und heimzukehren - zum Urgrund."