Cover des Buches Der Zug der Waisen (ISBN: 9783442481613)
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Rezension zu Der Zug der Waisen von Christina Baker Kline

Berührender Roman, beruhend auf historischen Tatsachen

von WildRose vor 6 Jahren

Rezension

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WildRosevor 6 Jahren

Mir waren sie nicht bekannt, die "Waisenzüge", die arme, oft verwaiste Kinder im 20. Jahrhundert über Jahre hinweg unter anderem von den Straßen oder aus den Waisenhäusern New Yorks sammelten und in eine ungewisse Zukunft zu Pflegeeltern auf dem Lande - meist im mittleren Westen der USA - transportieren. Manche der Kinder hatten den Umständen entsprechend Glück und kamen in liebevollen Familien unter. Doch viele der Kinder, die dieses Schicksal erlebten, waren in den Pflegefamilien Misshandlungen, Vernachlässigung und Ausbeutung ausgesetzt. Die Mädchen mussten Hausarbeit verrichten, die Jungen schwere Arbeit auf den Feldern und Farmen verrichten.

Diesem interessanten und viel zu wenig bekanntem Kapitel amerikanischer Geschichte nahm sich Christina Baker Kline in ihrem Roman "Der Zug der Waisen" an. Darin geht es um die alte Vivian, die in einem herrschaftlichen Haus residiert und seit vielen Jahren mit niemandem mehr über ihre Vergangenheit gesprochen hat. Dies ändert sich erst, als Molly bei ihr Sozialstunden ableisten muss. Die Siebzehnjährige stammt aus schwierigen familiären Verhältnissen, lebt in einer Pflegefamilie, in der man sie vor allem sich selbst überlässt - oder permanent kritisiert - und ist nur knapp dem Jugendgefängnis entgangen. Zunächst soll Molly nur den Dachboden Vivians entrümpeln, doch dieser steckt voller Gegenstände aus Vivians Vergangenheit, von denen die alte Dame sich nicht zu trennen vermag. Langsam kommen Molly und sie sich näher und die Beziehung intensiviert sich noch, als Molly für ein Schulprojekt mit jemandem über dessen Vergangenheit und wichtige Eckpunkte darin sprechen soll.

So bricht Vivian ihr jahrzehntelanges Schweigen und erzählt Molly von der Kindheit in bitterer Armut in Irland. Die Familie reiste mit dem Schiff in die Staaten, wo sie sich eine bessere Zukunft erhofften. Doch die Alkoholabhängigkeit des Vaters und die Launen der Mutter lasten schon da schwer auf Vivian, die damals noch Niamh heißt. Als Vivians Eltern bei einem schrecklichen Brand ums Leben kommen, landet das Mädchen in einem Waisenhaus und schließlich in einem der "Waisenzüge". Doch Vivian hat zunächst kein Glück, sie kommt zu einem Ehepaar, dass das Mädchen als kostenlose Arbeitskraft ausbeutet. Tag um Tag muss sie Kleider nähen, darf nicht einmal die Schule besuchen. Auch in ihrer nächsten Pflegefamilie ergeht es Vivian nicht viel besser, sie soll sich um die Kinder kümmern, doch die Familie lebt in bitterer Armut und der Familienvater wird ihr gegenüer auch noch zudringlich...

So erzählt Vivian Molly von ihrer schweren Kindheit und wie es ihr dennoch gelang, sich ein gutes Leben aufzubauen. Davon profitiert letztlich auch Molly, die endlich wieder eine Perspektive für ihre eigene Zukunft sieht.

Das Buch ist sehr berührend, lässt sich flüssig lesen und befasst sich mit einer interessanten Thematik. Meiner Ansicht nach hätte es ruhig noch 200 bis 300 Seiten länger sein können, dann wäre es vermutlich auch noch etwas stärker in die Tiefe gegangen, was die Charakterentwicklung der Protagonisten betrifft.

Gerade im letzten Drittel schwächelte das Buch leider, Vivians Jahre als junge Erwachsene wurden eher zackig abgehandelt, und es fehlte der Raum, sich wirklich mit ihr identifizieren zu können. Ein paar Wendungen am Ende sind schon haarscharf am Kitsch vorbei, ein wenig hatte ich das Gefühl, das Buch solle nur möglichst schnell zu einem positiven Abschluss gebracht werden. Das ist schade, aus diesen letzten Seiten hätte man meiner Meinung nach durchaus noch mehr "hinausholen" können.

Insgesamt betrachtet aber ist "Der Zug der Waisen" ein lesenswerter Roman, der auch rührt und beschäftigt, nachdem man ihn zu Ende gelesen hat.

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