Cover des Buches Der Zug der Waisen (ISBN: 9783442481613)
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Rezension zu Der Zug der Waisen von Christina Baker Kline

Auf ins Unbekannte....

von Miamou vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Ein historisches Thema, das nicht vergessen werden sollte! Allerdings konnte mich das Buch nicht so recht mitreißen....

Rezension

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Miamouvor 6 Jahren
Mit der „Zug der Waisen“ hat die Autorin Christina Baker Kline auf jeden Fall ein Thema angeschnitten, das man als Leser so wahrscheinlich eher nicht kennt….wenn man es denn überhaupt kennt. Ich kannte sie nicht, die „Train Riders“, wie sie in Amerika zu Beginn des 20. Jahrhunderts genannt wurden. Es handelt sich bei ihnen um Waisenkinder, die durch unglückliche und schicksalshafte Umstände ihre Eltern verloren haben, in einen Zug zusammengefasst wurden und durch Amerika fuhren auf der Suche nach „neuen“ Familien. In „Der Zug der Waisen“ stellt die Autorin ein Einzelschicksal vor, nämlich das von Vivian.

Vivian ist die Tochter irischer Auswanderer, die in Amerika neu anfangen wollen. Ihr Vater ist dem Alkohol zugetan und die Mutter kämpft um das Überleben der Familie. Als ihre Wohnung durch einen Brand zerstört wird und Vivans Eltern und Geschwister in dem Brand umkommen, wird Vivan selbst in einen Waisenzug gesetzt und in den Westen gebracht, wo sie eine Pflegefamilie finden soll. Sie wird auch aufgenommen, aber nicht so, wie sie es sich gewünscht hätte, trotzdem muss sie dankbar sein, weil dies von ihr erwartet wird. Als sie Jahrzehnte später auf die delinquente Molly trifft, die Sozialstunden bei ihr verrichten muss, traut sie sich diese Geschichte zu erzählen und wühlt auch in Molly einiges auf, die selbst auch von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht wurde.

Die Geschichte wir in zwei Zeitebenen erzählt. Zunächst stößt man als Leser gleich auf Molly, die in der städtischen Bibliothek „Jane Eyre“ klaut. Da man sie auf frischer Tat ertappt hat sie die Möglichkeit im Jugendgefängnis ihre Strafe abzusitzen oder Sozialstunden zu leisten. Die Mutter ihres Freundes arbeitet bei einer älteren Dame, Vivian, die gerne ihren Speicher aufräumen würde und Molly könnte ihr dabei doch eine große Hilfe sein. Dass Molly ein ziemlicher Trotzkopf ist, merkt man gleich ab der ersten Seite, dass sie aber ins Gefängnis müsste, steht auf einen anderen Blatt und so lässt sie sich darauf ein, Vivian bei ihrem Entrümpeln zu helfen. Nach und nach legt sie jedoch Schichten in der Geschichte von Vivian frei, die sie überraschen und die sie auch ihr eigenes Leben hinterfragen lassen.

Die zweite Zeitebene beschäftigt sich mit der Geschichte von Vivian selbst, die ursprünglich Niamh heißt und mit ihrer Familie aus Irland nach Amerika ausgewandert ist. Die Familie stirbt auf tragische Weise und Vivian wird zur Waise. Mit dem Zug und vielen anderen Waisen wird sie in den Westen gebracht und findet dort eine Familie, die sie mir als Hilfskraft als als Pflegetochter ansieht. Die Geschichte von Vivian steht auf wahren Tatsachenberichten, denn diese Kinder gab es wirklich und aus heutiger Sicht ist es der komplette Wahnsinn, wie mit diesen Waisenkinder verfahren und umgegangen wurden. Nur sehr wenige hatten wirklich das Glück in einer Familie aufgenommen zu werden, die sie wirklich unterstützt hat. Vivian erlebt dies erst bei der dritten Familie. Sie erlebt zwar nicht das Angenommen – Sein und Zuhause – Sein, wie man es sich von einer Familie wünscht, aber sie kann Wurzeln schlagen und aus ihrem Leben etwas machen. Als sie später noch auf einen ehemaligen Train Rider trifft, sich in ihn verliebt und in heiratet, scheint sie endlich ihren Platz auf der Welt gefunden zu haben.

In beiden Zeitebenen kann man gut herauslesen, dass sowohl Vivian als auch Molly Rastlose sind, die nicht wirklich irgendwo hingehören. Erst durch ihr Aufeinandertreffen löst sich so einiges an Gefühlen in ihnen, weil die eine die andere tatsächlich verstehen kann, da sie beide in ähnlichen Situationen aufgewachsen sind. Es macht besonders bei Molly den Eindruck, dass sie sich von Vivian dadurch gestützt fühlt und aus dem anfänglichen Trotzkopf, wird dann doch ein Mädchen, mit dem die Gesellschaft etwas anfangen könnte.

Der Schwerpunkt liegt aber trotzdem auf Vivians Geschichte, was bestimmt auch die Intention der Autorin war. So liest sich das Buch besonders in der ersten Hälfte sehr gut und bisweilen emotional, ohne jedoch wehleidig zu wirken. Vivian tut einem total leid, sie selbst gibt sich aber nicht auf. Und als man dann denkt, dass sie nun niemanden mehr hat, tritt dann doch wieder ein Wohltäter ins Spiel, der sie auffängt. Auch diese Figuren muss es geben und ehrlicherweise gibt es diese ja immer. Die zweite Hälfte des Buches, also die Teenagerzeit von Vivian und ihr junges Erwachsenenleben, wird dann sehr, sehr schnell abgehandelt. Es wird vorhersehbar und trivial und es bleibt dann kaum Platz für Emotionen. Das Buch hätte also gut und gern noch etwa 100 Seiten haben dürfen, denn der Stoff dafür war im Grunde da.

Alles in Allem fand ich es gut und mutig, dass die Autorin dieses Thema aufgegriffen hat und es in eine Romanform verpackt hat. Es ist ein Thema, dass man kaum oder gar nicht kennt und dass im Gedächtnis bleiben muss bzw. ins Gedächtnis rücken soll. Leider konnte mich das Buch auf emotionaler Ebene nur sehr wenig mitreißen. Ja….was manche Autoren zu viel machen, hat Christina Baker Kline zu wenig gemacht. Trotzdem hilft besonders die ersten Hälfte des Buches sich mit dem Thema der „Train Riders“ auseinanderzusetzen.
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