Rezension zu "Stadtnomaden" von Christina Horsten und Felix Zeltner
„Vielleicht müssen wir uns gar nicht entscheiden.“ „Wie wäre es, wenn wir einfach überall wohnen? Ein Jahr lang, jeden Monat irgendwo anders. So können wir alles mal ausprobieren, auch teure Viertel könnten wir uns leisten, wenn es nur für einen Monat wäre. Und danach wissen wir dann bestimmt, wo wir hingehören.“
New York ist wie eine Welt für sich – ein Stadtviertel unterscheidet sich vom nächsten und bringt neue Menschen, Erlebnisse und Abenteuer mit sich. Und so entscheidet sich eine junge Familie – samt kleinem Kind – das Abenteuer zu wagen und so viele Ecken wie möglich kennenzulernen. Jeden Monat ziehen sie in ein anderes Viertel, versuchen so gut wie möglich darin einzutauchen und die vielen Facetten der Metropole kennenzulernen.
New York, das Leben in einer so großen Stadt und viele Umzüge unterscheiden sich so sehr von meiner Lebenswelt, dass ich erst mal all denen zustimmen musste, die spontan auf die Umzugsidee mit einem „Ihr spinnt“ reagiert haben. Und wirklich bekommt die erste Euphorie auch immer wieder einen Dämpfer durch logistische Probleme und die Zweifel, die aufkommen, wenn das Monatsende naht und keine neue Wohnung in Sicht ist. Auch finanzielle Überlegungen (Gott, ist NY teuer!) und Gedanken um ihre Tochter Emma scheinen immer mal wieder die neuen Erfahrungen zu überdecken.
Dennoch hat das Projekt was an sich, das bald auch andere Menschen überzeugt. So kommt es dazu, dass Probleme überwunden werden können und unerwartete Unterstützer auftauchen. Überhaupt nimmt die Familie durch ihre Umzüge die Menschen in ihrer Umgebung viel mehr wahr. Sie lassen sich auf Gespräche und neue Freundschaften ein und gewinnen damit nicht nur einen Einblick in die vielen baulichen und infrastrukturellen Aspekte der unterschiedlichen Wohngegenden, sondern viel mehr noch in die Welt ihrer Bewohner.
So waren auch für mich die Highlights jeden Monats die Gespräche mit den neuen Nachbarn und auch das eingeführte Neighborhoods-Essen. Gerade hier kamen auch die Veränderungen zu Tage, der Wandel, der die einzelnen Gegenden erfasst hat. Immer wieder wird angesprochen wie aus ehemals gefährlichen – da in der Hand von Kriminellen – Straßenzügen eine vollkommen neue, sichere Gegend wurde. Aber auch negativer Wandel wird beobachtet. Die Gentrifizierung ist ein Thema, das besonders Felix (er und Christina wechseln sich dabei ab, von ihren Erlebnissen zu berichten) am Herzen liegt und das immer wieder aufgenommen wird. Da das Umzugsjahr die Zeit umspannt, in der Trump die Wahlen gewonnen hat, ist Politik ein weiteres Thema, das in die Geschichte einfließt. Dabei beziehen die Beiden deutlich Stellung und setzen sich mit ihrer Enttäuschung auseinander.
Bei der Lektüre des Buches stellt sich unwillkürlich die Frage, wie gut man seine (Wahl-)Heimat eigentlich kennt. Als abenteuerliches Projekt erst als Spaß und dann als Möglichkeit in Betracht gezogen, nimmt es eine Familie hier mit den Herausforderungen vieler Wohnungssuchen und Umzüge auf sich – um mit neuen, besonderen Eindrücken und Seiten ihrer Stadt belohnt zu werden, samt zahlreicher menschlicher Begegnungen, die in Erinnerung bleiben werden.
Fazit: Wer New York hautnah erleben will, dabei die besten Anekdoten der Lokals serviert bekommen will und so viel wie möglich sehen will, der muss ein Jahr in immer neuen Stadtvierteln verbringen – oder dieses Buch lesen.