Anstatt sich zu freuen, wenn nichts passiert, freut man sich, wenn etwas passiert; denn das kann man instrumentalisieren. Das ergibt wiederum nur Sinn, wenn es einem nicht um das Thema an sich geht, sondern um ein großes Ziel: die Verächtlichmachung der offenen Gesellschaft.
Die neue Rechte greift nach der Mitte, so steht es im Untertitel des Buches. Wir alle haben die Wahlerfolge nicht nur der AfD hier in Deutschland, sondern auch anderer rechtsgeneigter Parteien in ganz Europa mitverfolgen können. Nur knapp 70 Jahre, nachdem Fremdenhass und Rassismus ganz Europa an den Abgrund gebracht haben, haben die Rechten wieder Aufwind - und zwar mächtigen, wie die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gezeigt haben. Aber wie kommt das eigentlich?
Genau mit dieser Frage haben sich Liane Bednarz und Christoph Giesa befasst, die sich noch gleich in der Einleitung als überzeugte Christdemokratin und Liberaler outen. Selbst nicht ganz frei von Vorurteilen was diese beiden Parteien angeht, war ich zunächst skeptisch, aber ich bin ja immer gewillt, mich positiv überraschen zu lassen und das ist dem Autorenduo auch tatsächlich geglückt. Die eigene Parteizugehörigkeit offen zu legen diente in erster Linie dazu zu unterstreichen, dass gesunder Menschenverstand und vor allen Dingen der Faktor Menschlichkeit nichts damit zu tun hat, welche politischen Ansichten man sonst vertritt - konservativ, liberal, links. Auch wollten sie herausstellen, dass ihre Ansichten und Argumentation keineswegs einem "linksgrünversifften" (Zitat) Weltbild entspringen.
Bednarz und Giesa arbeiten heraus, wer die Wortführer der neuen Rechten sind, wie sie sich mal mehr, mal weniger geschickt althergebrachter Ansichten aus vergangenen Jahrzehnten oder Jahrhunderten bedienen, wie sie mit voller Wucht in die Kerbe der Angst und Unsicherheit schlagen, die rasche Veränderungen in diesem Land aufgetan haben, um noch mehr Angst, Unsicherheit und auch Hass zu schüren. Emotionen sind das Zauberwort und diese hochzupeitschen, das haben die rechten Agitatoren beinahe perfektioniert. Bednarz und Giesa nehmen sehr kritisch getätigte Aussagen des Millieus auseinander und widerlegen sie oder führen sie ad absurdum. Es tat mir fast ein bisschen Leid, dass das Buch bereits erschienen ist, bevor Frau von Storch ihre berüchtigte Aussage tätigte, die sinngemäß alle erwachsenen und "mündigen" Flüchtlinge zum Abschuss an den Grenzen freigeben sollte. Die Autoren zeigen auch auf, wo sich rechtes Gedankengut gut verborgen in vermeintlich neutralen Aussagen in die Köpfe der Menschen schleicht, die sich oftmals der Tatsache gar nicht bewusst sind, was und wen genau wie da unterstützen. Dabei wird allerdings auch nicht alles beschönigt, Missstände in der Politik werden nicht schön geredet, bloß weil die Rechten das andere Ende des Meinungsspektrums vertreten. Auch Bednarz und Giesa sehen sie, aber extremes und menschenverachtendes Gedankengut ist für sie absolut keine Lösung dafür. Bei vielen der untersuchten Aussagen fehlt jede Menschlichkeit und ich konnte einfach bloß den Kopf darüber schütteln, einmal darüber, dass es Leute gibt, die solche Dinge von sich geben, und einmal darüber, dass es tatsächlich Leute gibt, die sich dahinter stellen und sie glauben.
Abgesehen von gelegentlichen Längen, in denen die Autoren sich ein wenig zu sehr an Zitaten und deren Zerlegung festbeißen, war "Gefährliche Bürger" eine sehr interessante, wenn auch nicht überraschende Lektüre, die ich mit vier Blümchen jedem empfehlen möchte, der sich mit dem Thema näher beschäftigen will.