Gesellschaftliche Gefahren der Digitalisierung
Weniger um ganz konkrete Gefahren des Internet (Selbstvermessung, Monopolisierung, Datenkriminalität, Selbstentblößung, Informationsdichte, Geschwindigkeit und vieles mehr) geht es Kucklick in seiner fundierte, grundsätzlichen Betrachtung und Bewertung (auch wenn er vielfach immer wieder konkrete Beispiele aus dem „Alltag mit dem Internet“ auch kritisch benennt).
Sein Blick geht über das einzelne „Symptom“ hinaus und richtet sich auf den „Kern“, das „Dahinterliegende“ und die Folgen einer zunehmenden Nutzung, zunehmenden Implantierung des Internet in den Alltag und die damit einhergehende Vereinzelung in der Gesellschaft, die „Auflösung der Wirklichkeit“ als Ganzes, die zunehmende Ungleichheit in den Zugangskompetenzen.
Da, wo der „Klebstoff“ des Sozialen, die „feste Masse“ ihre Bindungskräfte verliert, ein treffend gewähltes Bild von Kucklick, entsteht „Granulat“, voneinander getrennte, in sich abgeschlossene, einzelne Elemente. Und je mehr die Digitalisierung fortschreitet, desto mehr Daten sammeln sich über Individuen und desto feinkörniger wird das Granulat.
„Wir erleben eine neue Auflösung………………Diese neue Auflösung (im Sinne präziserer Daten) erzeugt eine neue Welt“.
Diese Analyse der Entwicklung der „digitalen Gesellschaft“ führt Kucklick dabei sehr fundiert, überzeugend und sehr plastisch in der Form im Buch aus. Seine Einlassungen lesen ich flüssig und, wie bei „Felix und seine Diabetis“ an praktischen Beispielen dargestellt, die das Verständnis des Lesers stark erleichtern ohne an der nötigen Tiefe der Fakten Abstriche in Kauf nehmen zu müssen.
Ein „Leben in zwei Welten“, einer analogen „groben“ und einer „digitalen“ (auf Retina-Bildschirmen digital geschärften und vermessenen) führt Kucklick dabei zunächst eingängig vor Augen und verweist auf das dahinter liegende Problem. Das „Verrücken“ des „analogen“ sozialen Lebens hinein in eine digitale Welt.
Bis man es fast selber glaubt, dass man nicht mehr ein analoger Mensch mit Widersprüchen, Ecken und Kanten als Teil eines analogen, größeren Ganzen ist, sondern sich als „Summe seiner Daten“ beginnt, zu begreifen.
„Papier-Felix“, wie Kucklick es im Bild benennt als eine Art „grobes“ Bild einer Persönlichkeit mit vielen „schwarzen Gegenden“, bewertet anhand eines „Durchschnitts“ und „Digital-Felix“ als losgelöstes „vermessenes“ individuelles Element, für das „der Durchschnitt“ an Befindlichkeiten und Werten nicht mehr herangezogen wird.
Mit den Folgen einer bis dato nicht gekannten „Differenzierung“ (radikale Vereinzelung durch immer stärker und fein justierte Kenntnis der Unterschiede untereinander), „Intelligenz“ (die massive Umverteilung von Wissen durch Nutzung intelligenter und immer intelligenter werdender Maschinen, die nicht jedem in gleicher Weise zugänglich sind) und „Kontrolle“ (unter sozialer Neu-Bewertung, als „aus-gedeutete“ Individuen).
Schritt für Schritt geht Kucklick diesen drei Elementen nach, weist immer wieder auf die „Granulierung“ als Kern der Digitalisierung hin und führt den Leser so Schritt für Schritt in die Frage, wie sich eine Gesellschaft als Demokratie und als „Solidargemeinschaft“ tatsächlich „neu erfinden“ muss angesichts dieser gewaltigen Veränderung tradierter Lebensformen.
Keineswegs esoterisch oder künstlich bedeutungsschwanger ist Kucklick hier zu verstehen, sondern die Erfahrungen des Alltages und der Blick auf die gefährdete politische Stabilität verweisen alleine schon darauf hin, dass diese Gedanken zur gesellschaftlichen Lebensveränderung durch technische Innovationen umgehend ernst genommen und ausführlich diskutiert werden sollten.
Eine interessante, spannende, sehr erhellende, durchaus auch bedrohliche Lektüre über den Scheideweg einer digitalen Gesellschafts- und Lebensform und mit kreativen Angeboten zur Entwicklung in der nahen Zukunft, wie allein schon die nähere Analyse moderne Computerspiele zeigt.