Cover des Buches Lycidas (ISBN: 9783453529106)
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Rezension zu Lycidas von Christoph Marzi

"Lycidas" von Christoph Marzi

von Jacynthe vor 7 Jahren

Rezension

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Jacynthevor 7 Jahren

Inhalt


Emily Laing ist kein gewöhnliches Mädchen. Das wird ihr an dem Tag bewusst, als sie sieht, wie ein Werwolf ein kleines Kind entführt und umgehend selbst zur Gejagten wird. Eine sprechende Ratte macht sie mit dem mürrischen Alchemisten Mortimer Wittgenstein bekannt, der sie fortan die Magie lehrt und sie in die Geheimnisse der uralten Metropole unter London einführt. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und Emily stellt fest, dass nichts jemals so ist, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint...




Meine Meinung


Dieses Buch gehört zu den Büchern, die ich am längsten mein eigen nennen darf. Und es hat mich damals beim ersten Lesen genauso fasziniert, wie es das beim aktuellen Reread getan hat. Als erfahrenerer Leserin sind mir jetzt zwar ein paar Negativpunkte aufgefallen, doch die schmälern meine Liebe zu dem Roman und der Welt, die Marzi da geschaffen hat, nicht im Geringsten.

Bei Lycidas handelt es sich um Urban Fantasy vom Feinsten. Magiebegabte Elfen, Engel, sprechende Ratten und Werwölfe - sie alle leben im London der Jetztzeit und mischen sich unter das gemeine Volk. Kaum jemand unter den Normalsterblichen ahnt jedoch, dass unterhalb der Stadt die uralte Metropole liegt, in der düstere Machenschaften vonstatten gehen. Und genau in jene gerät das Waisenmädchen Emily Laing unversehens.

Gemeinsam mit ihrem Mentor, dem mürrischen Alchemisten Mortimer Wittgenstein, ihrer Freundin Aurora und dem Elfen Maurice Micklewhite versucht sie, das Rätsel zu lösen, das eng mit ihrer Herkunft und ihrer Bestimmung verknüpft zu sein scheint. Dabei wird die Gruppe hin und her getrieben von Intrigen, falschen Fährten und geschickten Versteckspielen. Nichts und niemand scheint in der uralten Metropole das zu sein, was er vorgibt und schnell stellt sich heraus, dass Entscheidungen, die einst richtig erschienen, katastrophale Folgen nach sich ziehen können.

Man spürt Marzis Liebe zu Geschichten, zur Musik und zur Mythologie in jeder Zeile dieses Romans. Denn neben den christlichen Apokryphen mit der Geschichte um Adam, Eva, Lilith und Lucifer lässt Marzi mit dem Gott Anubis und einem mordenden Golem auch ägyptische und jüdische Elemente mit einfließen, sodass das Gefühl entsteht, dass alle Religionen und Mythen der Welt irgendwie miteinander verbunden sind. Und auch lokale Geschichte kommt nicht zu kurz, denn der Mörder Jack the Ripper ist in Marzis Geschichte eng mit den aktuellen Geschehnissen verknüpft. Hinzu kommen erfundene grausame Wesen wie der Nyx, ein uraltes Bewusstsein unter der Stadt, das sich von Hass und Missgunst ernährt, wespenartige, aus der Hölle kriechende Nekire und Rattlinge, die sich wie eine Seuche ausbreiten und jeden, den sie beißen, zu einem der ihren machen.

Dies alles macht die uralte Metropole mitnichten zu einem Ort, an dem man gerne verweilen würde. Dennoch kann man sich dem Sog der Faszination, die sie ausströmt, nicht entziehen und ich würde immer wieder gerne mit den vier Hauptcharakteren in die Stadt unter der Stadt hinabsteigen.

Ich mochte jeden der vier auf seine Weise. Emily aufgrund ihrer vielen findigen Fragen, Aurora wegen ihrer Sanftheit und Ruhe. Wittgenstein wegen seiner mürrischen und doch liebenswürdigen Art und Micklewhite wegen seines nicht enden wollenden Wissensdurstes. Die Beziehung zwischen Wittgenstein und seinem Schützling Emily ist eine ganz besondere und von trockenem Humor geprägt, der mich immer wieder grinsen ließ. Sätze wie "Fragen Sie nicht!" und "Dieses Kind!" begegnen dem Leser im Laufe der Lektüre immer wieder.

Nun jedoch zu den Kritikpunkten. Mir ist aufgefallen, dass Marzi sehr sehr viele Wiederholungen verwendet. Umstände, die schon geschildert wurden, werden ein paar Kapitel später erneut aufgegriffen und erzählt. Vielleicht aus einem anderen Blickwinkel, aber dennoch. Immer wieder wird erwähnt, wie und wo Mortimer Wittgenstein seinen Schützling gefunden hat, immer wieder kommt Marzi darauf zurück, wie es Emily und Aurora im Waisenhaus ging. Dadurch wird das Buch um einiges länger als nötig gewesen wäre, und dadurch auch langatmiger.

Außerdem fand ich es teilweise schwierig, die Geschehnisse zeitlich einzuordnen, da Marzi nicht chronologisch erzählt, sondern immer wieder zwischen Ereignissen und Schauplätzen hin und her springt. Gespräche und Diskussionen ziehen sich stellenweise arg in die Länge und manchmal ertappte ich mich dabei, wie meine Gedanken abschweiften und ich am Ende eines Kapitels nicht wirklich verstanden hatte, wer nun mit wem intrigiert. Dass viele der vorkommenden Bösewichte im Laufe der Zeit verschiedene Namen angenommen haben, machte das Ganze nicht besser.

Insgesamt jedoch ist Lycidas ein Buch, das jeder gelesen haben sollte, der Urban Fantasy, Geschichten und Mythologie mag. Marzis Stil ist ein ganz besonderer und die Art, wie er erzählt, ist mir noch nirgends sonst begegnet. Dass Wittgenstein in der Ich-Form erzählt, aber dennoch über Geschehnisse Bescheid weiß, bei denen er nicht zugegen war und zudem Gefühle und Gedanken anderer Personen wiederzugeben vermag, passt jedoch hervorragend zu der Geschichte und der Welt, die Marzi geschaffen hat, und machen das Buch und die Folgebände zu etwas ganz Besonderem.

Ich vergebe 5 von 5 Wolken für dieses Buch, das eines meiner Lieblingsbücher ist.
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