Cover des Buches Cox (ISBN: 9783100829511)
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Rezension zu Cox von Christoph Ransmayr

Die Messung der Ewigkeit...

von parden vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Wenn man sich einmal eingelassen hat auf den Schreibstil, tragen einen die geschliffenen, langverschachtelten Sätze durch die Geschichte.

Rezension

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pardenvor 8 Jahren
DIE MESSUNG DER EWIGKEIT...

Der englische Uhrmacher Alister Cox folgt mit drei Gefährten einer Einladung des Kaisers von China, um in der Verbotenen Stadt Uhren nach den Vortellungen und Träumen eines allmächtigen Gottmenschen zu bauen. An einem Hof, der von Maßloisgkeit, zeremonieller Pracht und Angst beherrscht wird, soll der Meister aus London Uhren erschaffen, die das Verfliegen des menschlichen Lebens anzeigen - von den scheinbar endlosen Tagen eines Kindes bis zu denen eines zum Tode Verurteilten. Und schließlich fordert der Kasier ein Uhrwerk, das die Dauer der Ewigkeit messen soll...


"Ein Mann, der sich Herr der Welt, Der Erhabene, Der Allerhöchste und Herr der zehntausend Jahre und mit so vielen, unzähligen, anderen Titeln und Namen himmelhoch über den Rest der Menschheit hinausheben ließ, würde ihm einen Wunsch vortragen, den er entweder erfüllen oder an dem er scheitern - und vielleicht sterben konnte. Denn was ein Herr der Welt und Herr der Horizonte wünschte, konnte nur ein Befehl sein, der weder Zögern noch Scheitern duldete." (S. 71)


Für Alister Cox, einen der berühmtesten Uhrmacher des 18. Jahrhunderts, bedeutet die Einladung des Kaisers von China eine willkommene Gelegenheit, seinem traurigen Alltag zu entkommen. Seit dem Tod seiner kleinen, über alles geliebten Tochter Abigail und dem Verstummen seiner seither unnahbaren Frau entkommt Alister Cox den Schatten der Traurigkeit nicht mehr. Fremde, ferne Länder, dazu bislang noch unbekannte Aufträge des mächtigsten Mannes der Welt, die ihn in eine neue Arbeitswut stürzen würden, erscheinen dem Uhrmacher verlockend genug, um die Einladung anzunehmen.

Doch bereits die Ankunft nach sieben Monaten einer von Stürmen zerrissenen Seereise macht deutlich, dass in diesem Land nicht nur Milch und Honig fließen. Als Alister Cox mit seinen Gehilfen von Bord geht, werden gerade siebenundzwanzig Steuerbeamten und Wertpapierhändlern auf Befehl des Kaisers die Nasen abgeschnitten. Und die Schiffsladung voller kostbarer Geschenke lehnt Qiánlóng ab - er wolle kein Spielzeug. Nein, der Kaiser wolle ihren Kopf.


"Unseren Kopf?, hatte Cox entgeistert gefragt und gespürt, wie ein kalter Schauer über seinen Rücken lief. (...) Ja, Ihren Kopf, hatte Kiang wiederholt und sich vor dem englischen Gast verbeugt: Ihren Kopf. Ihre Erfindungsgabe, Ihr Vorstellungsvermögen, Ihre Kunst, Mühlen für den Lauf der Zeit zu erschaffen. Mühlen?, hatte Cox gefragt. Uhren, hatte der Übersetzer seinen Fehler korrigiert und beide Hände zu einer entschuldigenden Geste gehoben, Uhren, Automaten, Meßgeräte, Maschinen..." (S. 32 f.)


Běijīng ist das Ziel der Reise, und, fast unerhört, der Einzug der Europäer, dieser fremdländischen Langnasen, in die Verbotene Stadt. Dort werden die vier Uhrmacher mit den strengen Ritualen und Gesetzen der chinesischen Kultur bekannt gemacht. Eindringlich werden die Gäste beschworen, sich an die Prämisse zu halten, nichts zu sehen oder zu hören, was nicht für ihre Augen und Ohren bestimmt ist und sich an die Gepflogenheiten des Landes zu halten. Als schließlich der Kaiser nach Alister Cox verlangt, beginnt dieser erneut zu frösteln. Was mag dieser allmächtige Herrscher von ihm wollen?

'Wie schnell die Zeit vergeht' - mit diesem Satz empfängt Qiánlóng den brühmten Uhrmacher. Profane Worte, und doch wird Cox rasch klar, welcher Wunsch sich dahinter verbirgt. Der Kaiser will, dass Cox eine Uhr fertigt, die das wechselnde Tempo der Zeit anzeigt - die Stunden, die im Liebesglück so rasch verstreichen, die mühselig in Sekunden tropfende Zeit, wenn etwas sehnlichst erwartet wird, die einschläfernde Langeweile im zähen Zeitenbrei, die Beschleunigung der Zeit mit jedem verstrichenen Jahr des Lebens. Alles vereint in einem kunsvoll arrangierten Werk. Cox meistert diese Aufgabe scheinbar mühelos, und auch der nächste Wunsch des Kaisers versetzt ihn nicht in Erschrecken: eine Uhr für Todgeweihte, für alle, die das Datum ihres Todes kennen, das Ende ihres Lebens unabweisbar kommen sehen.


"Meister Alister Cox, sagte Kiang, solle das Privileg genießen, Anschauungsmaterial für sein neues Werk im Vorhof des Todes zu sammeln, in jenem Gefängnis, in dem die verantwortungslosen Ärzte ihre Henker erwarteten. (...) Er brauche solche Besuche nicht, sagte Cox, schließlich würden auch in London Menschen gehängt, geköpft, verbrannt und ertränkt und müßten erdulden, wie die Zeit bis zu ihrer letzten Qual zerrann. (...) Cox habe etwas mißverstanden, sagte Kiang, und Mißverständnisse könnten zu jeder Lebenszeit gefährlich werden, dieser Besuch, das sei kein Vorschlag des Erhabenen gewesen, kein bloßer Wunsch, sondern sein Wille." (S. 107)


Doch der letzte Wunsch des Kaisers versetzt Cox gleichzeitig in Ekstase und in Angst. Eine Zeitlose Uhr solle der Engländer entwickeln, ein Uhrwerk, das die Ewigkeit misst, das über alle Menschenleben hinweg weiterschlägt. Schon lange träumen Cox und seine Gehilfen von solch einem Werk, dem unmöglich scheinenden Perpetuum mobile. Und nun ist es der Kaiser von China, der eben diesen Gedanken gefasst hat. Und die Uhrmacher begeben sich erneut an die Arbeit, experimentieren, verwerfen, konstruieren. Doch kann dieses Vorhaben gelingen? Und wenn - was kann daraus resultieren?


"Selbstmord! Es war Selbstmord, eine Uhr für die Ewigkeit zu bauen, eine Uhr, die ihre Stunden aus dem Inneren der Zeit in die Zeitlosigkeit schlug. Wußten die Engländer denn nicht, daß der Herr der zehntausend Jahre nicht nur über die Zeit gebot, sondern die Zeit w a r (...)? Und eine Uhr, wie die Engländer sie (...) erschaffen wollten, eine Uhr, die diesen Kaiser überragen sollte, sich über seine Tage hinaus drehte, und auch ihn am Ende als bloßen Statisten eines übergeordneten Zeitenlaufs erscheinen ließ, mußte doch wohl mit dem Anspruch verbunden sein, dauerhafter, größer zu sein als er selbst. Dauerhafter als der Herr über die Zeit, der dadurch zu einem Menschen, einem von vielen, schrumpfte. (...) Glaubten die englischen Gäste im Ernst, daß der Erhabene oder sein Hof eine solche Erniedrigung, einen solchen Frevel zulassen würden?" (S. 241 f.)


Zwei Kulturen begegnen sich hier, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Ein feiner Balanceakt zwischen Gnade und Untergang beginnt mit dem Betreten des Landes, die Abhängigkeit vom Wohlwollen des Kaisers wird mit jeder Zeile deutlicher. Frappant das Erleben der Gleichzeitigkeit der Schöngeistigkeit des Kaisers, der Gedichte schreibt, sich mit hübschen Frauen umgibt, die Natur liebt und Uhren sammelt, und der barbarischen Willkürlichkeit, der Grausamkeit auf einen einzelnen Wink hin, der Allgegenwärtigkeit von Folter und eines grausemen Todes.

Das Phänomen von Zeit und Ewigkeit schwebt durch die Zeilen des Romans, wird in allen Facetten wort- und bilderreich betrachtet. Die Personen haben historische Vorbilder, wie das Nachwort verrät (so gab es beispielsweise tatsächlich einen Uhrmacher namens Cox, dessen Werke bis heute in den Pavillons der Verbotenen Stadt in Běijīng zu sehen sind, der aber selbst nie in China war), die Handlung jedoch ist frei erfunden. Von den Uhren, die in dem Roman facettenreich und bis ins kleinste Detail beschrieben werden, hat der wahrhaftige Cox eine einzige tatsächlich erbaut - die anderen scheinen dem Geist des Autors entsprungen zu sein, und allein dafür zolle ich ihm Hochachtung.

Die sorgfältige Recherche Ransmayrs hinsichtlich des Hofzeremoniells und der Darstellung der Hofgesellschaft sowie der Lebensrealität der Bevölkerung ist dem Roman anzumerken. Episch ist die Erzählung angelegt, detailverliebt, minutiös, bildhaft, manchmal ein wenig langatmig. Doch wenn man sich einmal eingelassen hat auf den Schreibstil, tragen einen die geschliffenen, langverschachtelten Sätze wie im Traum durch die Geschichte. Da fallen die Handlungsarmut im Mittelteil des Romans sowie einige Wiederholungen von Gedanken über das Wesen der Zeit nicht großartig ins Gewicht.

Ein entschleunigtes Lesen bescherte mir dieser Roman, der eine ungebrochene Konzentration erfordert, um die sprachgewaltigen Sätze nachvollziehen zu können. Mehr als ein Kapitel am Stück habe ich daher nie gelesen, so dass das Werk mich einige Wochen lang begleitet hat. Doch genossen habe ich die Lektüre allemal.


© Parden
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