Cover des Buches So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! (ISBN: 9783462041118)
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Rezension zu So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! von Christoph Schlingensief

Rezension zu "So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!" von Christoph Schlingensief

von rumble-bee vor 13 Jahren

Kurzmeinung: Ich muss dieses Buch erstmal sacken lassen. Es ist eigentlich viel zu persönlich, um es zu rezensieren und zu bewerten. Heulgarantie!

Rezension

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rumble-beevor 13 Jahren
Eine Bemerkung muss und möchte ich vorausschicken: Dies ist keine Rezension. Auch wenn das widersinnig klingt. Aber ich wollte einfach meine Gedanken zu diesem Buch abschließend ordnen und in eine lesbare Form bringen, und dafür ist nun mal die Pinnwand letztendlich kein geeigneter Ort. Was nun folgt, ist eine Beschreibung dessen, was dieses Buch in mir ausgelöst hat, was mich noch heute bewegt und verfolgt, und wie ich den Menschen sehe, der dies schrieb. Eine Rezension des Buches ist es deshalb insofern nicht, und kann es auch nicht sein, weil man ein derart persönlich geschildertes Leiden einfach nicht zu bewerten hat! Ich habe irgendwo gelesen, dass selbst die Süddeutsche Zeitung sich geweigert haben soll, das Buch zu rezensieren, mit dem Argument, dafür sei es viel zu persönlich. Das kann ich absolut nachvollziehen! Bevor der Autor dieses Buches, Christoph Schlingensief, schwer erkrankte, ja, bevor er überhaupt dieses Buch schrieb, war er mir als Künstler kein Begriff. Das soll es geben, manche Dinge gehen im Leben einfach an einem vorbei. Allerdings bin ich das ganze letzte Jahr über, nein, eigentlich noch länger, ständig mit Herrn Schlingensief und seiner Krankheit in Kontakt gekommen. Ein guter Brieffreund von mir ist bzw. war ein großer Fan von ihm, und er hat mich lange Zeit hindurch mit allen möglichen und unmöglichen Zeitungsausschnitten, Aphorismen und Meldungen zu und um Christoph Schlingensief versorgt. Mit dem Menschen und seinem Kampf war ich also sehr wohl vertraut. Nur kann ich nicht in dasselbe Horn stoßen wie manche Zeitgenossen, die dieses Buch am "alten", gesunden Schlingensief messen, und die empört reklamieren, dieses Buch sei wieder nur eine neuerliche Vermarktung der "Kunstmaschine Schlingensief". Mein Brieffreund ist sogar so weit gegangen, Ende Oktober, an genau dem Tag der Geburt von Herrn Schlingensief, so eine Art Geburtstags-Essen zu veranstalten, und zwar in Oberhausen, der Geburtsstadt des Künstlers. Wir speisten in einem polnischen Restaurant am Altmarkt, genau gegenüber der Kirche, in der Herr Schlingensief lange Messdiener war. Hinterher besuchten wir noch das Haus seiner Mutter, das direkt um die Ecke liegt - sie wohnt noch dort, der Name steht auf der Klingel. Also Schlingensiefs Elternhaus. später ging es dann auch noch zum Friedhof. Ich kann nur sagen, das war wohl für mich einer der denkwürdigsten Tage meines Lebens,und dadurch ging ich mit völlig anderer Haltung, mit anderen Erwartungen an dieses Buch als jeder "normale" Leser. Mir wurde schmerzlich und ausgesprochen drastisch bewusst, dass dieser Mensch eben nicht mehr lebt, und diese wirklich gefühlte und gewusste Einsicht hatte beim Lesen den Effekt eines Donnerschlages. vom Kloß im Hals bis hin zu einigen Tränen gegen Ende war es dann kein weiter Schritt mehr. Verblüfft hat mich die Tagebuchform, und der durch und durch mündliche Erzählton. Wie es scheint, hat Christoph Schlingensief während der ersten akuten Phase seiner Erkrankung Anfang 2008 einfach sein Diktiergerät besprochen, und ich vermute, dass er von der mündlichen bis zur Buchfassung nicht mehr viel geändert haben wird, vielleicht sogar gar nichts. Und das finde ich dann doch wieder grandios! Sich so auszudrücken, zwar thematisch immer mal wieder hin und her springend, aber von der Ausdrucksfreude und den lebendigen Bildern her immer treffsicher und mitten ins Herz, das beeindruckt mich ungeheuer. Das kann wohl nur ein Künstler. Und noch dazu immer abends noch zu diesem Gerät zu greifen, wenn man doch eigentlich vom Tag mehr als geschafft ist...! Ab und zu scheint schon durch, dass Schlingensief "vorher" wohl ein ziemlicher Egomane gewesen sein muss. Aber: es wird ihm selbst bewusst, er denkt über sich selbst nach, obwohl es ihm ausgesprochen schwer fällt. Er nimmt sich vor, sein Leben zu ändern, oder doch zumindest seine Haltung zum Leben, zu anderen Menschen - und zu sich selbst. Er kennt nun wirklich gar keine Hemmschwelle, was man erzählen kann und was nicht. Das wirkte auf mich teils drastisch, aber machte auch den Eindruck eines durch und durch ehrlichen Menschen auf mich. Er stellt sich in diesen Worten, er stellt sich dem, was passiert, und das ist wiederum ein Zeichen von Mut. Er lässt den Leser teilhaben an nahezu allem, jedem Husten, jedem Ziepen, und noch wesentlich unschöneren Körperfunktionen. Die Schilderung der eigentlichen Behandlung nimmt einen vergleichsweise kleinen Raum ein. Vielleicht liegt das daran, dass er als wohlhabender Künstler eben auch manche Sorgen nicht hatte, denen sich der einfache Krebskranke auf der Straße aber stellen muss. Er konnte unter Kollegen nachfragen, wer der beste Arzt ist, er konnte sich verschiedene Ansätze durch den Kopf gehen lassen. Und er konnte eben auch bestimmen, ich schiebe die Chemo eben noch ein paar Wochen vor mir her, weil ich im Moment Wichtigeres zu tun habe. Den größten Raum nehmen aber definitiv seine Gedanken ein, und die sind praller Schlingensief, dass es einen beim Lesen beinahe umhaut, so wild geht es teilweise da zu. Nach 75 Seiten brauchte ich erstmal eine Pause, weil mir bei diesem intensiven Gedankenkarrussell ein wenig schwindlig wurde. Auch danach konnte ich nur in Häppchen weiterlesen. Das strotzte nur so von Phantasien, Betrachtungen, bei weitem nicht nur über Krebs, nein, auch über Kunst und Leben. Darunter aber immer dieser nahezu verzweifelte Unterton: ich will leben, ich will überleben, und vor allem: ich will, dass etwas von mir bleibt. Nahezu gruselig gegen Ende die Voraussicht des Autors, er werde es wohl etwa noch zwei Jahre machen. Das war eine der Stellen, an denen ich mit den Tränen zu kämpfen hatte! Ich hätte diesen Menschen so gerne kennen gelernt, denn er ist mir gar nicht so unähnlich. Die Zeit schien manchmal gar nicht zu reichen für all seine Ideen, es überschlug sich nur so in seinem Kopf. Kreativität, gepaart mit Wissensdurst und Lebensfreude. Dann wieder das Bedürfnis, allein zu sein, der Absturz in eine mutlose Phase. Genie und Wahnsinn. Ja, all das kenne ich auch! Und auch seine ziemlich kirchenkritische Grundhaltung kann ich gut teilen. Zwar nähert er sich durch das ganze Buch hindurch den drei "Personen" Gott, Jesus und Maria wieder an. Aber was deren "Bodenpersonal" so alles anrichtet, das kann er bei weitem nicht gutheißen. Vor allem nimmt er der Kirche übel, dass sie die Menschen moralisch unter Druck setze. Er wünscht sich für die Zukunft einen befreiteren und lebensfroheren Umgang mit dem Thema Religion, und wer dieses Buch gelesen hat, der kann sich vorstellen, wie das bei Schlingensief ausgesehen hätte... Ach, dieses Buch lässt mich betroffen und auch traurig zurück. Ein Buch ist es ja eigentlich gar nicht, eher ein Zeugnis eines echten, und zwar sterbenden Menschen. Das hat er unterschwellig immer gewusst. Und insofern kann ich eben Menschen nicht verstehen, die Schlingensief vorwerfen, er wolle sich mal wieder selbst vermarkten. Die einzigen, die das Buch kommerzialisieren und zum Produkt machen, sind wir alle - wenn wir es nämlich nur als Buch ansehen.
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