Cover des Buches Das Buch des Teufels (ISBN: 9783596186716)
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Rezension zu Das Buch des Teufels von C.J. Sansom

Shardlake und die sieben Schalen des Zorns

von Stefan83 vor 12 Jahren

Rezension

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Stefan83vor 12 Jahren

Zuletzt ist es etwas ruhig geworden um den schottischen Autor C. J. Sansom, dessen Serie mit dem Anwalt Matthew Shardlake im England der Regierungszeit Heinrichs VIII. sich ab Mitte der 2000er Jahre auch bei uns in Deutschland im Bereich des historischen Romans etabliert hat und erfrischend anspruchsvolle Abwechslung zum faden Romanzen-Allerlei der Genre-Konkurrenz bietet. Fünf Romane der Reihe sind hierzulande bereits erschienen, eine Übersetzung des sechsten Bands („Lamentation“, 2014 im Original veröffentlicht) ist bis dato noch nicht angekündigt. Leider, muss man konstatieren, denn seit „Pforte der Verdammnis“ hat sich Sansom kontinuierlich gesteigert und, nachdem er anfangs vor allem hinsichtlich der historischen Authentizität und Atmosphäre punkten konnte, auch in Sachen Spannungsaufbau endlich die Kurve bekommen. „Das Buch des Teufels“, der vierte Auftritt Shardlakes, darf dabei als Wendepunkt verstanden werden, werden hier doch erstmals die kriminalistischen Ermittlungen des buckligen Anwalts und seines Gehilfen Jack Barak zum zentralen roten Faden in der Geschichte, was nicht nur endlich intensiveres Miträtseln erlaubt, sondern auch das zuvor zumeist träge Tempo der Erzählung beschleunigt. Ein meines Erachtens dringend benötigter Schub, welcher im Verbund mit der düsteren Handlung – eine Prise Jack the Ripper hier, ein bisschen Paul Harding da – für eine wesentlich stimmigere Mischung sorgt, als bei den doch irgendwie sterilen Vorgängern. Im Kern geht es diesmal um folgendes:

London, Anno 1543. Zwei Jahre nach dem „Great Progress“ des Königs, wird Matthew Shardlake am Ostersonntag einmal mehr in ein Verbrechen hineingezogen, als er seinen Freund Roger Elliard, brutal ermordet in der Brunnenanlage des Lincoln's Inn, der Arbeitsstätte zahlreicher Anwälte, vorfindet. Niemand, allen voran der zuständige Coroner, scheint großes Interesse an der Aufklärung des Falls zu zeigen und als es einige Tage später zur Verhandlung vor Gericht kommt, legt der Vorsitzende, der zweite Coroner des Königs, Sir Gregory Harsnet, den Fall gar offiziell zu den Akten. Elliards Witwe ist entsetzt und für Shardlake die Sachlage klar – er muss zusammen mit seinem Rechtsgehilfen Jack Barak selbst Nachforschungen anstellen. Doch bevor es dazu kommen kann, ruft ihn Thomas Cramner, der Erzbischof von Canterbury, in seine Residenz nach Lambeth Palace. Im Beisein von Harsnet verpflichtet er Shardlake zum Stillschweigen und eröffnet ihm, dass der Mord an Elliard nicht der erste dieser Art war – ein Serienmörder treibt offenbar sein Unwesen in der Stadt an der Themse.

Was die Sache besonders delikat macht: Die Taten sind in den höchsten Kreisen der Politik begangen worden. Das erste Opfer war niemand geringeres als der Leibarzt des erst kürzlich verstorbenen Lord Latimers, dessen Witwe Lady Parr intensiv vom König Heinrich VIII. umworben wird. Dieser ist für seinen Aberglauben bekannt und könnte, würde der Mordfall bekannt, von seinen Heiratsplänen Abstand nehmen. Eine kleine Gruppe unter Führung des Erzbischofs versucht die Vorfälle geheim zu halten, da seit längerer Zeit der Streit zwischen den reaktionären und reformierten Kräften schwelt und man sich durch die Verbindung einen größeren Einfluss auf den König – vor allem was religiöse Fragen betrifft – erhofft. Lady Parr ist – so vermuten viele – das Zünglein an der Waage.

Harsnet, Shardlake und Barak ermitteln nun fortan gemeinsam und erkennen recht bald, dass hinter den grausamen Morden ein Muster steckt. Der Täter scheint sich auf die Offenbarung des Johannes und die sieben Schalen des Zorns zu beziehen. Ein erbitterter Wettstreit mit der Zeit beginnt, denn die Abstände zwischen den Morden werden immer kürzer …

So, da sind wir wieder. Mittendrin im London des 16. Jahrhunderts, das Sansom erneut „detailliert und bildreich zum Leben erweckt“, was zwar eine abgeschmackte Phrase in heutigen Rezensionen aufgreift, in diesem Fall aber nichtsdestotrotz den Kern des Ganzen trifft, denn Fakt ist: Es ist diese dichte, authentische Atmosphäre, welche die Reihe trägt und auch tragen muss, da die Hauptfigur Shardlake auch in seinem vierten Auftritt – zumindest in meinen Augen – nicht zu einem Sympathieträger taugt. Die Idee, einen buckligen, unscheinbaren Beamten ermitteln zu lassen, hat zwar durchaus Potenzial, wird vom Autor allerdings in einer Art und Weise umgesetzt, die es uns schwer macht, Mitgefühl oder gar Anteilnahme für Shardlakes hartes Los zu empfinden. Im Gegenteil: Dauernde Beschwerden über den eigenen körperlichen Zustand, die Ungerechtigkeiten der Kollegen, das abweisende Verhalten der Frauen und die rohe, harsche Art seines Partners Jack Barak – sie zehren genauso an den Nerven des Lesers, wie das naive Gutmenschentum, welches sich der Anwalt selbst nach all den schrecklichen Vorkommnissen zuvor immer noch bewahrt hat. Das ändert nichts an der Glaubhaftigkeit der Figur, schmälert aber den Zugang zu ihr, zumal auch Shardlakes Privatleben nur sehr langsam ausgearbeitet wird und sein eigentliches Tätigkeitsfeld, die Arbeit als Anwalt, bisher schmählich vernachlässigt worden ist.

Kritikpunkte, welche in „Das Buch des Teufels“ jedoch wesentlich weniger als bei den Vorgängern ins Gewicht fallen, eben weil der kriminalistische Part der Geschichte endlich stringent und überzeugend geplottet wurde, und das historische Flair seinen Teil dazu beiträgt, den schaurig-beklemmenden Gesamtton zu unterstreichen. Gemeinsam mit Shardlake und Barak geht es in die engen, dunklen Gassen der Stadt, hört man den Lärm von Mensch und Tier, riecht man den abscheulichen Gestank der Kloaken – London wird durch Sansoms feine Feder zu einem weiteren Protagonisten – und dieser hat großen Anteil daran, die Gefahr, in der sich die Ermittler befinden, zu unterstreichen. Bestes Beispiel dafür ist die Strandung zweier Wale am Ufer der Themse, welche die einfachen Leute irrtümlich für den Leviathan halten, eben jenes Ungeheuer aus der Tiefe des Meeres, dessen Erscheinen die Wiederkunft Christi ankündigt. Eine mehr als passende Metapher für die Umstände der Morde und eines jener Details, welches der Story Gewicht und Tiefe verleihen. Und mich zeitweise sogar haben vergessen lassen, dass ich einen weiteren Serienmörder-Roman zwischen den Händen halte. Eine Untergattung des Spannungsgenres, welche ich mir mittlerweile mehr als über gelesen habe.

Trotzdem sei an dieser Stelle gesagt: „Das Buch des Teufels“ ist alles andere als ein Pageturner. Sansom nimmt sich – trotz schnellerem Erzähltempo – weiterhin sein Zeit für längere Ausführungen und den ein oder anderen parallel laufenden Handlungsstrang, weswegen der Spannungsbogen nicht durchgängig diese Intensität erreicht, welche manch ein Leser vielleicht von Thrillern mit ähnlicher Thematik gewohnt ist. Dem Vergnügen an der Lektüre tut dies keinen Abbruch. Interessierte an englischer Geschichte und überhaupt Freunde anspruchsvollerer historischer Kriminalliteratur dürften hier voll auf ihre Kosten kommen.

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