Cover des Buches Barrakuda (ISBN: 9783608980134)
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Rezension zu Barrakuda von Christos Tsiolkas

Tsiolkas, der Barrakuda im Büchermeer

von rumble-bee vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Für mich ein typischer Tsiolkas. Teils verstörend, teils sicher auch polarisierend. Aber immer authentisch. Ich mochte es!

Rezension

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rumble-beevor 9 Jahren
Auf den ersten Blick ist dies ein Buch über einen jugendlichen Schwimmer, der an sich, seinen Lebensverhältnissen, und vor allem seinen Ansprüchen zerbricht. Erst auf den zweiten Blick, etwa ab dem zweiten Drittel des Buches, dämmert dem Leser, dass es hier um noch viel mehr geht. Um die australische Mentalität beispielsweise. Um ausgewanderte Griechen. Um die Identität der Arbeiterklasse. Um die Haltung der Gesellschaft Schwulen gegenüber. Um geplatzte Lebensentwürfe. Und und und.

Eines vorab: mir fällt es ungeheuer schwer, dieses Buch für sich allein stehend zu betrachten. Für mich hat Christos Tsiolkas, der Autor, seit seiner "Ohrfeige" einen Nimbus, einen Ruf, und den lese ich irgendwie "mit". Ich habe es vor allem dahingehend gelesen, ob ich die Stimme des Autors, seine Haltung, "wiedererkenne", und ob er noch dieselbe Einstellung der Welt und dem Erzählen gegenüber hat. Nun - er hat!

Auch dieses Buch wirkte auf mich wie eine Ohrfeige, eine teils derbe und harte Erzählung, die in authentischer und drastischer Sprache absolut nichts beschönigt - und die ich dem Autor größtenteils abnehmen konnte. Sympathien für den Helden Danny Kelly habe ich wenig empfunden; aber ich glaube, es geht an der Absicht des Buches vorbei, es dahingehend beurteilen zu wollen. Die Geschichte hätte genau so passieren können, und vermutlich tut sie es auch. Darauf kommt es an.

Manches hat der Autor stilistisch beibehalten, manches weiterentwickelt. Wie gesagt, die Sprache ist typisch Tsiolkas geblieben. Ein großes Lob an die Übersetzung übrigens! Man hat es geschafft, dass die Jugendsprache trotzdem authentisch rüberkommt, all die gehässigen Frotzeleien und auch das Mobbing wirken real, nicht angestrengt oder gekünstelt. Und auch die Sexszenen konnte ich so annehmen - fand sie sogar weniger unschön als in der "Ohrfeige".

Sehr gefallen hat mir die erzählerische Experimentierfreude des Autors. Dass die Chronologie in modernen Romanen aufgebrochen wird, ist man ja fast schon gewöhnt. Neu ist jedoch, dass die Rückblenden (!) alle in der Ich-Perspektive geschrieben sind; die Erzählstränge aus der (relativen) Gegenwart aber in der dritten Person. Das hat für mich die Aussage des Buches sehr gut unterstrichen: Danny klebt sehr an seiner Vergangenheit als Schwimmer, hier hat er wirklich gelebt, hier war er ein "Ich". Außerdem fiel mir auf, dass die Rückblenden eine grobe Richtung haben: sie gehen in der Zeit immer weiter zurück, bis hin zu Dannys ersten Erfolgen, ja sogar bis hin zu der Szene, als er als Kleinkind mit seinem Vater am Strand Schwimmen lernt. Diese letzte Szene schien mir allerdings doch sehr an Joyce angelehnt - ein "stream of consciousness", der wohl die kindliche Unmittelbarkeit rüberbringen sollte.

Als "typisch Tsiolkas" habe ich auch empfunden, dass manche Rätsel bezüglich Dannys Vergangenheit bewusst offen bleiben. Man kann hier viel interpretieren, was ich prinzipiell gut finde. Dies betrifft vor allem die wahren Gefühle der Personen füreinander, und ihre Ausrichtung im Leben. Wann und wie hat Danny eigentlich gemerkt, dass er schwul ist? Liebt er Clyde in Wahrheit doch? Und das größte Rätsel von allen: der Trainer, Frank Torma. Ich wette hundert zu eins, dass er heimlich in Danny verliebt war - schließlich vermacht er ihm am Ende sein Haus. Aber auch dies bleibt Interpretationssache.

Das Buch ist für mich nur sehr knapp an der 5-Sterne-Marke vorbeigesaust, was in meinen Augen an der thematischen Überfrachtung lag, wie ich sie im ersten Absatz schon angedeutet habe. Ich persönlich hätte eine Konzentration auf Dannys Geschichte besser gefunden. All die Diskussionen über Australien und seine verquere Mentalität, über Politik, über Auswanderung und so weiter, sind ein wenig an mir vorbei gegangen. Vermutlich müsste man Australier, oder zumindest Bewohner des Commonwealth, sein, um hier manches besser zu verstehen. Auch der autobiographisch gefärbte Anteil des Buches scheint mir größer zu sein als noch in der "Ohrfeige". In Australien griechische Wurzeln zu haben, nun, davon kann der Autor ein Lied singen. Ich fand zwar manches gut beschrieben - aber tendenziell eben auch "too much", wie der Besuch bei der sterbenden griechischen Oma.

Insgesamt freue ich mich aber sehr, dass Tsiolkas versucht, authentisch und innovativ zu bleiben. Er hat sich glaubwürdig in eine Welt des Erfolgsdrucks und der Klassenunterschiede begeben, und hat mich nebenbei noch zum Nachdenken gebracht. Dafür gibt es von mir 4 sehr verdiente Sterne.
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