Cover des Buches Die drei Sonnen (ISBN: 9783453317161)
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Rezension zu Die drei Sonnen von Cixin Liu

Hervorragend und raffiniert ausgeklügelt, aber insgesamt mehr Physik-Abhandlung als Roman

von Svenjas_BookChallenges vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Großartige Ideen, stellenweise wirklich mindblowing - aber damn, war das eine wissenschaftliche Abhandlung mit Holzpuppen als Charakteren?

Rezension

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Svenjas_BookChallengesvor 6 Jahren
Aus eigenem Antrieb hätte ich vermutlich nicht zu Cixin Lius Erfolgsroman "Die Drei Sonnen" gegriffen, da ich Geschichten über Außerirdische für mich persönlich irgendwie schwierig finde. Die vielen positiven Stimmen und mein aufkommender Faible für Science Fiction Literatur haben mich aber letztendlich überzeugt und so ist "Die drei Sonnen" bei mir eingezogen. Ich hatte schon gehört, dass Lius Ansatz ein ganz anderer sein soll und war super gespannt auf seine Geschichte um den Planten mit den drei Sonnen. Erwartungsgemäß hatte ich anfangs ein paar Probleme mit den chinesischen Namen (ja, auch das war Neuland für mich) und ich konnte auch die Geschehnisse um die Kulturrevolution in China nur schwer einordnen, nach etwa 50 Seiten hatte ich mich aber einigermaßen reingefitzt. Einen langen Atem braucht man anfangs trotzdem - ohne den Klappentext hätte ich mit dem Kontakt zu Außerirdischen vermutlich nicht gerechnet.

Die Handlung baut sich sehr langsam auf - Liu liefert unheimlich viel Input, stopft gefühlt alles an Background-Infos in die Geschichte, was möglich ist, und hat zumindest mich damit über weite Strecken überfordert. Ich habe maximal Grundkenntnisse in Physik und ich bin sicher alles andere als ein Wissenschafts-Geek. Das muss man aber definitiv sein, um sich für alles, was Cixin Liu erzählt, zu interessieren und es vor allem ansatzweise zu verstehen. Er vermittelt all das physikalische und historische Wissen leider auf derart trockene Weise, dass man eigentlich fast durchgehend das Gefühl hat, eine wissenschaftliche Abhandlung zu lesen. Und damit bin ich als Gelegenheits-SciFi-Leser eigentlich raus. Ich habe trotzdem weitergelesen, denn die Grundstory hatte einiges, was ich super spannend fand und was mich zum Nachdenken angeregt hat.

Das ist zum Beispiel der Zeitraum, in dem die Geschichte spielt: Cixin Liu lässt seinen Science Fiction Roman nicht etwa 100 Jahre in der Zukunft spielen. Ihren Anfang nimmt die Story in den 1960er und 1970er Jahren in China, zu einer Zeit, in der die Kulturrevolution das Land überrollte und die Wissenschaft sozusagen völlig neu definiert wurde. Und zu einer Zeit, in der das All eine immer größere Faszination auf die Menschen ausübte und die ersten Expeditionen in den Weltraum stattfanden. Auf mich wirkte es so, als würde Cixin Liu ein Gedankenexperiment durchspielen: Wie hätte sich die Menschheit weiterentwickelt, wenn damals, als es ähnliche Abhör- und Sendestationen wie rotes Ufer zweifelsohne gegeben hat, tatsächlich Kontakt zu außerirdischem Leben hergestellt worden wäre? Eine Frage, die ich ziemlich spannend finde und die Cixin Liu in seinem Roman auf sehr erschütterende und fesselnde Art und Weise beantwortet.

Auch die Idee, wie die Menschen mit den Außerirdischen in Kontakt treten, was diese über sich preisgeben und wie das alles mit dem skurrilen Computerspiel Three Body zusammenhängt, hat mich ziemlich beeindruckt. Cixin Liu hat mir hier jede Menge Stoff zum Nachdenken gegeben - über die Kultur und die Lebensbedingungen der Trisolarier und über den Umgang der Menschen mit ihrer Entdeckung. Der Kern der Geschichte hat mich also schon absolut gefesselt und fasziniert, vor allem weil er so clever ausgedacht und gesellschaftskritisch ist. Liu sagt zwar selbst, dass er in "Die drei Sonnen" keine Gesellschaftskritik übt, aber für mich ist das ziemlich eindeutig. Und vor allem mit einem scharfen Blick und einer Raffinesse gemacht, die mich einfach absolut überzeugen.

Für mich hat "Die drei Sonnen" also eigentlich wirklich das Zeug zu einem echten Knüller. Doch trotzdem ich Liu für seinen Einfalllsreichtum und seine Raffinesse bewundere, las sich das Buch insgesamt richtig zäh. Das liegt zum einen eben an Lius Stil, der mir schlicht und ergreifend zu wissenschaftlich ist. Übrigens habe ich in einer anderen Rezension gelesen (und auch mein Freund hat das gesagt, wenn ich mit ihm über das Buch gesprochen habe), dass einiges, was Liu in seinen Roman einfließen lässt, nicht wissenschaftlich fundiert ist, sondern die physikalischen Gesetzmäßigkeiten gewissermaßen aushebelt. Ich selbst kann das überhaupt nicht beurteilen, denn für mich gab es auf jeder Seite gleich einen ganzen Batzen böhmischer Dörfer, aber ich denke eben, dass der Kern der Geschichte jene Kritik an der Menschheit und ihrem Umgang mit dem Planeten Erde ist. Umso unnötiger und aufgeblähter wirkten die vielen, trocken theoretischen Passagen über Protonen, Nanomaterial etc. auf mich. Zum anderen haben mich letztlich auch die Charaktere nicht packen können, weil sie durchgehend blass und oberflächlich bleiben. Sie haben ihre festen Rollen und bewegen sich ausschließlich in den Grenzen, die Liu zuvor sorgfältig abgesteckt hat - so zumindest mein Eindruck. Vor allem Wang Miao, die Hauptfigur im zweiten Teil, hat mich mit seiner Passivität ermüdet und wenig unterhalten. Es gibt so gut wie keine Überraschungen und auch der Twist, den ich mir gegen Ende so sehr gewünscht habe und den die Geschichte meiner Meinung nach so dringend gebraucht hätte, kam letztendlich nicht. Was mich ein bisschen ratlos zurückgelassen hat, denn ich kann mir wirklich überhaupt gar nicht vorstellen, wie Liu diese insgesamt doch sehr träge und sich so langsam aufbauende Geschichte fortsetzen will. Ich bin zwar neugierig, habe aber die Befürchtung, dass mich die Fortsetzung ebenso wenig überraschen wird wie der Auftakt der Trilogie.

Mein Fazit
Es tut mir ja fast ein bisschen leid, dass ich mich all den begeisterten Stimmen zu "Die drei Sonnen" nicht anschließen kann. Aber der extrem theoretische und trockene Schreibstil, die unzähligen Wissenschafts-Infos, die die Geschichte unnötig aufblähen, die sich sehr langsam aufbauende Handlung und die zu schablonenhaften Charaktere haben bei mir über weite Strecken leider keine Spannung aufkommen lassen. Beschäftigt hat mich die Handlung schon und ich bewundere Lius Ideenreichtum und sein feines Gespür für Gesellschaftskritik. Wie er das Ganze verpackt hat, konnte mich aber letztendlich so gar nicht begeistern.
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