Rezension zu "Wir sind alle Kannibalen" von Claude Lévi-Strauss
16 intensive und bewegende Essays
Auch das bekannte „Der gemarterte (hingerichtete) Weihnachtsmann“ aus dem Jahr 1952 findet sich in dieser Sammlung von Essays des Professors für Sozialanthropologie Claude Levi-Strauss. Als ausführliche Eröffnung der vielfachen und klugen Blicke des Autors auf das, was Menschsein, was Wirtschaft, was Kultur in der Gegenwart ausmacht und bewegt.
Wobei es keine schlechte Idee ist, diese interessanten und intelligenten Betrachtungen der Welt mit dem namensgebenden Essay „Wir sind alle Kannibalen“ zu beginnen.
Denn auf diesen knapp 10 Seiten wird offenkundig und prägnant formuliert, was in den vielfachen Themen der andren Essays immer wieder als „Hintergrund“ und „Grundbefindlichkeit“ des modernen Menschen durchdekliniert wird.
Und auch das „Denksystem“ Lev-Strauss wird hier deutlich. Der Blick auf alte, tradierte, antike Kulturen und die gezogenen Parallelen zur heutigen Welt und heutigen Lebensweise.
Die „Kuru“ Krankheit dieses vergessenen Volkes in Neuguinea, wohl auf Kannibalismus basierend. Denn als dieser durch die Weißen beendet wurde, verschwand auch diese besondere Krankheit langsam aus dem Leben dieses Volkes. BSE und Creutzfeld-Jakob sind hier die Parallelen, die Levi-Srtrauss in der Gegenwart zur Sprache bringt (identisch mit der KUR Krankheit in Symptomen und Verlauf).
Ein ganz offenkundiger Vergleich des „modernen Kannibalismus“ zum tatsächlichen Kannibalismus, der immer wieder in der ein oder anderen Form in den Essay eine Rolle spielen wird.
Da, wo man „ihn nicht auf seine brutalste Form reduzieren darf“, sondern auf die Grundbedeutung des Wortes zu achten:
„….geht es stets darum, Teile oder Substanzen vom Körper anderer Menschen in den menschlichen Körper einzuführen“. Und dazu gehört auch die „Sphäre“ des anderen, den Versuch, andere auch mit Macht mit sich zu „identifizieren“.
Wie sich überhaupt mythisches und wissenschaftliches Denken gar nicht so abhold sind, wie es oft auf den ersten Blick scheint. Thema eines Essays aus dem Jahre 1993. Was stand denn am „Anfang der Zeit“, wenn das Universum eine Geschichte hat und doch „aus dem Nichts“ entstanden sein soll? Die schwierige Vereinbarkeit von dem, „was wir glauben, erkennen zu können“ und „den Funktionsregeln des Denkens“ kehr in einer großen Kreisbewegung dann doch wieder zur Mystik und zum mythischen Denken zurück.
So, wie Mythen den „gesunden Menschenverstand“ erschrecken, so vollziehen es auch aktuellste wissenschaftliche Erkenntnisse.
Das „Alte“ und das „Moderne“, die ethnologischen Erkenntnisse und das Leben in der Gegenwart, immer wieder verweist Levi-Strauss auf die Verbindungen zwischen den Zeiten und Kulturen, dem immer wieder kehren einer fast basalen Befindlichkeit.
So, als würde das „“Bewusstsein“ der eigenen Geschichte den Menschen offenbaren, „dass die göttliche Vorsehung immer wieder auf dieselben Modelle zurückkommt, deren Anzahl endlich ist“.
Eine sehr interessante, vielfältige Lektüre über eben jene „Anzahl an Modellen“ von Beginn der Zivilisation an.