Der mir bis zu diesem Buch gänzlich unbekannte österreichische Schriftsteller Clemens Berger legt einen 670 Seiten starken aber sehr kurzweiligen Roman vor der schneller gelesen ist, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Dies liegt einerseits am gefälligen und bodenständigen Schreibstil und anderseits an der ansprechenden Figurengestaltung. Bei mir stellte sich von Beginn weg ein angenehmer Lesefluss ein und ich folgte den interessanten Handlungssträngen um ein Pärchen, dass bei einer Sicherheitsfirma angestellt ist und Geldautomaten mit den dringend benötigten Scheinen auffüllt und darüber nachdenkt, was man für ein Leben führen könnte wenn man das Geld behalten bzw. stehlen könnte. Dann ist da ein Künstler, der primär Motive mit Händen malt und am Kunstmarkt so erfolgreich ist, dass er finanziell ausgesorgt hat aber ihn bewegen andere Gedanken die mit dem Leben und Geld zu tun haben. In der dritten Handlung wird eine Pflegerin im Zoo als einzige von der Pandamutter akzeptiert und nur sie darf zum frisch geborenen Pandababy und sich um den Winzling kümmern. So in etwa kann man in grober Form die drei primären Erzählstränge umreissen.
In diesen belletristischen Roman dreht sich vieles um die Themen Geld und Lebensgestaltung und was einen Menschen bewegt und glücklich macht. Die Handlung führt die Leser um den halben Erdball und wird so zu einem Reise- und Entwicklungsroman. Ab und zu kommt sogar ein höchst ungewöhnlicher Erzähler ins Spiel der die Geschichten auflockert. Der Autor beweist mit der stattlichen Anzahl Seiten, dass er über einen langen Atem verfügt und den brauchen ab und zu auch die Leser. Besonders in der zweiten Hälfte des Buches hatte ich das Gefühl, dass man auf ein paar Szenen hätte verzichten können. Das ist aber der einzige Kritikpunkt in einem ansonsten lesenswerten Werk das auch äusserlich mit einem schönen Cover zu glänzen vermag.
Clemens Berger
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Clemens Berger
Ein Versprechen von Gegenwart
Das Streichelinstitut
Im Jahr des Panda
Und hieb ihm das rechte Ohr ab
Haus des flüssigen Goldes
Neue Rezensionen zu Clemens Berger
Klappentext:
Ein urkomischer, kluger Roman über einen liebenswerten Taugenichts, der beschließt, ein Streichelinstitut zu eröffnen und endlich ein homo oeconomicus zu werden.
Inhalt:
Eigentlich war es nur ein Scherz seiner Freundin. Er könne so gut streicheln, dass er das doch beruflich machen könnte. Schließlich entscheidet sich Sebastian, der sich jetzt lieber Severin nennt, dafür und mietet eine Wohnung an, um ein Streichelinstitut zu eröffnen. Immerhin beweisen Forschungen, dass Streicheln den Menschen hilft, sie zu glücklicheren, besseren Menschen macht. Aber niemals unter der Gürtellinie. Schon nach wenigen Wochen bricht er diese Regel aber.
Aufbau:
In lediglich drei Kapiteln, die unendlich lang scheinen, wechseln immer Gegenwart, Vergangenheit und Fantasie, ohne dass die Übergänge wirklich klar gemacht werden, so dass man wirklich aufmerksam lesen muss, um zu wissen, wo man sich gerade befindet. Viele der Gespräche werden nur zusammengefasst oder in indirekter Rede erwähnt. Sehr schwer und unangenehm im Textfluss.
Charaktere:
Sebastian/Severin hat einen Abschluss in Philosophie und will eigentlich seine Dissertation schreiben, schreibt aber immer nur die Arbeiten anderer – gegen Geld, versteht sich. Er bummelt durch die Welt und durch sein Leben, kommt nirgendwo an. Er selbst hält sich für links, hasst aber so ziemlich jeden und scheint ständig im Luxus leben zu wollen. Darüber hinaus denkt er bei jeder Kleinigkeit an Sex. Ein Hund wäre bei einer solchen Übersexualisierung schon längst kastriert worden, er hingegen betrügt lieber ständig seine Freundin und glaubt zwischendurch gleich drei Frauen zu lieben. Liebenswert, wie im Klappentext behauptet, ist er nicht, eher das Gegenteil. Er gibt ständig, selbst in seinen Gedankenmonologen, mit seiner Belesenheit, seinem Kunstverstand an, hält sich für besser als die meisten anderen und tut sich ständig selbst leid. Hasst sich gleichzeitig selbst. Nicht einmal Goethes Werther ist so hassenswert und selbstbesessen wie dieser Mann.
Anna, seine Freundin, ist Philosophiedozentin, weiß aber von seiner Arbeit als Ghostwriter wissenschaftlicher Arbeiten. Was eigentlich ein Kündigungsgrund sein müsste, dass sie es verschweigt, wird nie thematisiert. Sie ist nicht richtig zu fassen, wirklich lernt man sie nicht kennen, weil sie, wenn sie spricht, oft nicht richtig auf die Themen eingeht, einsilbig ist, nicht ausspricht, was sie denkt. Man erfährt nur, dass sie genauso übersexualisiert ist, stellt sie sich doch liebend gern vor, wie ihr Freund andere Frauen streichelt, nur um ihn dann ins Bett zu schleifen.
Dr. Irene Fischer, fast immer mit Doktor geschrieben, obwohl man nicht weiß, wofür – Medizin kann es nicht sein, so oft, wie sie wochenlang einfach verschwindet -, ist die Dritte im Bunde, hat Severin gezeigt, wie er unter der Gürtellinie zu streicheln hat und dann das Gleiche auch noch mit seiner Freundin gemacht. Sie verführt ihn auch zu einer Expansion seines Unternehmens, ansonsten bleibt sie aber undurchsichtig. Scheint nur als Verführung, als Stilmittel zu existieren.
Viele andere Personen werden erwähnt, bleiben aber blass, uncharakterisiert, was schade ist. Gerade die Kunden des Instituts, ihre Geschichten, hätten so viel Potenzial geboten.
Fazit:
Das Buch hätte so vieles sein können und ist doch nichts davon. Es hat zwischendurch gute Ansätze, auf die man eine Handlung hätte aufbauen können. SMS von der eigenen Nummer, ohne dass man sie selbst geschickt hat? Wäre ein guter SciFi oder Fantasy. Die Zerrissenheit in Sebastian und Severin hätte ein guter Thriller oder ein Psychodrama werden können und die Geschichte von einem Institut, in dem man Leute streichelt und glücklich macht, wäre ein guter Ansatzpunkt für eine Romanze. Doch dieser Roman ist nichts davon. Es findet keinerlei wirkliche Handlung statt, Spannung kommt nicht auf. Nicht einmal der im Klappentext versprochene Humor, eher im Gegenteil. Ich habe ein Buch noch nie so inniglich gehasst.
Auch Gesellschaftskritik hätte es werden können. Über Leute, die sich für links halten und doch die schlimmsten Kapitalisten sind. Über die Perversionen unserer Zeit. Über freie Liebe oder dagegen. All das wird kurz angerissen und doch nicht pointiert dargestellt, sondern gleich wieder fallen gelassen. So bleibt am Ende ein Werk übrig, dass auf 356 Seiten weder Moral, noch Handlung, noch irgendeine Aussage hat. Keine Charaktere, in denen man sich erkennen könnte, nicht einmal ein Ende. Die eigentlich interessante Zeit, die eigentliche Handlung hätte mit dem Ende erst angefangen.
Wenn man gewisse Erwartungen an einen Roman stellt, hat dieser häufig nicht die Möglichkeit diese zu erfüllen. So erging es leider auch dem Buch "Das Streichelinstitut", in dem Protagonist Sebastian, ewiger Student, besagtes Streichelinstitut eröffnet.
Auf die Idee, diesen beruflichen Schritt zu gehen, ist seine Freundin Anna gekommen, die begeistert von Sebastians Streicheleinheiten, nicht nur seine Fähigkeiten, sondern auch das Bedürfnis vieler Menschen nach Nähe und Zärtlichkeit, erkennt. Klingt kurzzeitig nach einem Erotiroman, ist es aber nicht. Sebastians Absichten sind rein hilfsbereiter Natur und erfolgen nach festgesetzten Regeln, die nur Tätigkeiten oberhalb der Gürtellinie einschließen.
Das Interessante am Buch sind die Personen, die aus den verschiedensten Gründen die Dienstleistung des Streichelinstituts nutzen und sich mit Hilfe von Sebastians magischen Händen ihre Probleme wegstreicheln lassen. Probleme, die sich sehr im psychologischen Bereich einbetten lassen und gewisse Grundkenntnisse in der Psychologie, aber vor allem auch der Philosophie voraussetzen.
Was ich erwartet hatte: einen Wohlfühlroman, der sanft streichelnd für locker wärmende Lesestunden sorgt. Was "Das Streichelinstitut" tatsächlich ist: ein gesellschaftskritischer Roman mit deutlich spürbaren philosophischen Zügen. Dadurch, dass ich mit anderen Erwartungen an das Buch rangegangen bin, hat es lange gedauert, bis ich überhaupt in die Geschichte reingekommen bin. Das erwünschte Lesewohlbefinden hat sich leider gar nicht eingestellt. "Das Streichelinstitut" ist ein kluger und witziger Roman, der leider weder zu meiner Lesestimmung, noch zu mir gepasst hat.
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