Cover des Buches Als wir träumten (ISBN: 9783100486004)
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Rezension zu Als wir träumten von Clemens Meyer

Rezension zu "Als wir träumten" von Clemens Meyer

von Lesebienchen vor 14 Jahren

Rezension

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Lesebienchenvor 14 Jahren
"Die Original Leipziger Brauereiabfüllung war eine Art blonder Flaschengeist für uns, der uns sanft an den Haaren packte und über Mauern hob, Autos in Flugmaschinen verwandelte, uns seinen Teppich lieh, auf dem wir davonflogen und den Bullen auf die Köpfe spuckte." Dies ist nur einer von vielen Sätzen, die nicht mehr loslassen und noch nach Tagen nachklingen. Sätze, die in nur einem Atemzug Unschuld und Trostlosigkeit in sich vereinen und damit eine Wahrheit aussprechen, der man sich nicht enziehen kann. Daniel, Rico, Mark, Paul, Walter und Pitbull wachsen im Leipzig der Nachwendejahre auf. Ihr Leben ist beherrscht von Autoklau, Alkohol, Diebstählen, Wut und Zerstörung. Ihre Familien sind zerrüttet, sie selbst sind noch geprägt und verwundet durch den Kollektivzwang des DDR-Regimes. Ihr einziger Halt sind die selbst, sie sind Brüder, die füreinander sterben, füreinander jedes Hindernis beseitigen würden. Und doch bleibt ihnen eines verwehrt, über eigene Gefühle zu reden, Ängste auszusprechen, und eine Schulter zum Ausweinen zu haben. "Ich habe nie Schiss" ist einer der meist verwendeteten Sätze in diesem Roman. Gebetsmühlenartig wiederholen die Jungen diese Floskel immer wieder und bauen eine Schutzmauer um sich auf, die selbst in den traurigsten Situationen nicht einreißt. Denn Gefühle zeigt man nicht, man ist nicht schwach, nicht auf der Straße. Und doch klingt auf jeder Seite eine schier übermächtige Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit mit, nach einem legalen Leben, nicht nach einem permanenten Überleben. Clemens Meyer gelingt es, eine Sprache zu finden, die weder moralisiert noch verurteilt, sondern sie beobachtet und illustriert schonungslos die Realität dieser Jungen. Doch dabei findet Meyer ebenso zarte und zerbrechliche Töne, die gerade neben der beinahe brutalen Sprachgewalt umso deutlicher hervorstechen und noch lange nachhallen. "Als wir träumten" erzählt in unvergleichlich bewegender Weise von einem Traum, den sechs Jungen träumten, ein Traum von Freiheit und auch von Gerechtigkeit. Das Leben machte jedoch diesen Traum zunichte.
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