Cover des Buches Dr. Siri und seine Toten (ISBN: 9783442546428)
Rezension zu Dr. Siri und seine Toten von Colin Cotterill

Rezension zu "Dr. Siri und seine Toten" von Colin Cotterill

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 13 Jahren

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 13 Jahren
Als der König im Dezember 1975 abdankt und die Kommunisten in Laos die Herrschaft übernehmen, denkt Siri, dass er sich mit über 70 Jahren nach erfolgreichem Kampf zur Ruhe setzen könne. Doch weit gefehlt. Für solchen Luxus hat das neue System kein Verständnis und der rüstige Mann muss umschulen. Statt lebende Menschen zu heilen, soll er als erster und einziger Pathologe des Landes arbeiten und sich mit Toten befassen. Schneller als ihm lieb ist, kommen unnatürliche Todesursachen auf seinen Tisch. Zwar macht er seinen neuen Job ungerne, aber immerhin hartnäckig. So hartnäckig, dass es einige plötzliche Anweisungen "von oben" gibt: Eine Leiche wird vorzeitig abgeholt, er muss Hals über Kopf eine Dienstreise antreten und Mitarbeiter und Freunde verschwinden in anderen Abteilungen des Krankenhauses oder gar in Umerziehungslagern. Doch Siri findet unvermutet Verbündete. Zu Siris Team gehören Dtui, eine Krankenschwester, und Geung, der ein leichtes Down-Syndrom hat. Während Geung mit seiner feinen Nase eine heiße Spur beim Tod der Genossin Nitnoy findet, entwickelt Dtui eine ungeahnte Kreativität, um Siris Obduktionsberichte vor fremden Händen zu schützen. Die Drei sind in den Augen des Richters ein Gespann, das man besser aus der Pathologie verbannen sollte, damit kein hoher Würdenträger der Partei bei einer Klinikbesichtigung Anstoß nehmen könne. Für Siri jedoch ist die Zusammensetzung ideal, wäre ebendieser Würdenträger doch beeindruckt "von dem ungeheuren Mitgefühl und der immensen Weitsicht, die unsere große Republik beweist, indem sie Angehörige gleich dreier Minderheiten an ein und demselben Arbeitsplatz vereint". So spitzfindig seziert Siri die sozialistischen Parolen und dreht die Sachlage, bis es für seine Zwecke passt. Auch gegenüber seinem Freund Civilai vom Parteibüro kann er sich Witze dieser Art erlauben - statt strenger Linientreue frotzelt Civilai kräftig mit. Dieser intelligente Humor hat's mir einfach angetan. Und wie ich beim Lesen über Cotterill und seine Bücher gelernt habe, ist das für Laos keinesfalls ungewöhnlich und unpassend: "Die Menschen dort überspielen ihre Unannehmlichkeiten durch Humor. [..] Viele Leute schaffen es mit dem Terror und dem Horror des täglichen Lebens umzugehen, in dem sie es leicht nehmen, Witze darüber machen." Bei der Aufklärung eines Falls im Norden, beim Volk der Hmong, erfährt Siri zudem einiges über sich selbst: Gemäß dem dortigen Glauben lebte Siri - selber ein Hmong - vor hunderten von Jahren als Schamane und verfügt über besondere Gaben. Dazu gehört zum Beispiel, dass er in seinen Träumen den Toten scheinbar real begegnet und sie ihm verschlüsselte Hinweise geben. Zwar kann ich selber nichts mit übersinnlichen Phänomenen anfangen und frage mich bei entsprechenden Bauteilen in Romanen oft, was das soll. Hier wirkt es jedoch einfach aus einem Guss glaubwürdig verpackt. Und das mit Zutaten wie dem Kommunismus von 1976 oder dem "uralten" Protagonisten, die eigentlich nach schwerem Tobak klingen. Herausgekommen ist ein originelles Buch, vielleicht auch eine kleine Würdigung der Laoten, die sich erfindungsreich, menschlich und kreativ den Umständen stellen.
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