Klaus Farin, seines Zeichens weder ein unbeschriebenes Blatt noch ein Unbekannter, wenn es um Jugendkultur geht. Nun hat er sich vor einem Jahrzehnt einer der umstrittensten deutschen Bands gewidmet und deren Fans zu Wort kommen lassen.
Wie könnte es anders sein? Auch dieses Buch über die Böhsen Onkelz trägt den Titel eines Songs. Buch der Erinnerung ist vom Album Heilige Lieder von 1992. Nun ist es auch der Titel eines Buches geworden und das hat es in sich. Im Vergleich zur Danke für Nichts Rezension, die mir ein bisschen schwerer gefallen ist und mich persönlich berührt hat, hat dieses Buch Abneigung bei mir ausgelöst. Zuerst wollte ich es gar nicht lesen und es stand als Flohmarktfund unbeachtet im Regal bei all den anderen Musikbüchern. Mich hat die Aufmachung nicht überzeugt und nein, ich wollte die Fans nicht hören. Gekauft wurde später die signierte Ausgabe, nicht auf dem Flohmarkt, sondern First Hand.
Das hat einen ganz bestimmten Grund: Welcher Autor, der ein positives Werk über eine umstrittene Band verfasst, lässt denn die Hater mal zu Wort kommen? Keiner - und Pressestimmen zählen nicht. Natürlich gibt es also ein Buch der Lobhymnen der Fans auf die Onkelz. Die Seiten sind zweigeteilt, links kommen die Fans zu Wort, rechts Farin, der die Geschichte der Gruppe in knappen Worten aufrollt. Die Fans erzählen frei Schnauze, wie sie zu den Onkelz kamen und warum sie blieben, was ihnen die Idole gaben und was sie so verdammt anziehend macht. Es sind schöne Geschichten, unvergessliche Erlebnisse, Erinnerungen, die ein Fremder gar nicht nachvollziehen kann. Fotos von den Fans, mit den Fans, mit den Onkelz - ein Kritiker würde hier böse Zungen sprechen lassen.
Und warum eigentlich auch nicht? Natürlich mag der Schelm sofort denken: Klar, die Mädels stehen auf den Weidner, dessen Sexappeal sogar die Queen umhauen könnte. Außerdem ist Kevin der böse Bube und Frauen bevorzugen immer die Arschlöcher. Gonzo ist einfach knuffig und Pe hat dieses Verschwiegene an sich, das ihn interessant macht. Die männlichen Fans nehmen sich die Saufgelage und Schlägereien als positives Beispiel und wollen den Idolen nacheifern, wenn es um Härte und die Anzahl der flachgelegten Frauen geht. Es ist ganz logisch, dass keiner etwas Negatives über seine Lieblingsband sagt und dieses pseudoromantische Gewäsch von Familie, Zusammenhalt und Aufgehobensein ist irgendwie eine nette Story um eine Band, die - nun ja, die ihren Erfolg in allererster Linie gar nicht mal ihrem musikalischen Können verdankt. (Darüber können wir gerne jederzeit diskutieren!)
Das mag alles gar nicht mal so falsch sein. Richtig ist aber auch, und das steht dann am Ende doch im Vordergrund, dass die Fans eine ganze Menge zu sagen haben und eben nicht nur einen auf heile Welt machen - auch nicht, wenn es um BO geht. Die Familie existiert nun mal und wer das für dummes Gerede und eine Harmonisierung der Band-Fan-Beziehung hält, der muss sich auch mal die Mühe machen, die Band und ihre Fans live zu erleben. Das ist eine Familie und egal, wie groß das Konzert ist, es ist ein Familientreffen. Im Buch der Erinnerung haben die Fans ihre Seelen geöffnet und geschildert, warum die Böhsen Onkelz so eine Anziehungskraft ausüben. Sie fühlen sich verstanden, und genau das sagt auch Jenny, deren Zitat sogar auf dem Backcover abgedruckt wurde:
"[...] das scheiß doofe Leben, ist manchmal so aussichtslos, so einsam, so kalt und hässlich [...] Und dieser Mensch hat die Gabe, Texte darüber zu schreiben."
Genau das ist es wohl, was viele empfinden. Stephan Weidner fühlt, was er schreibt, und Kevin Russell kann es nachempfinden und schreit die Texte dann heraus. Diese Familie fühlt sich verstanden und viele haben ihre Geschichte, die genauso einsam, gewalttätig, grausam und verzweifelt ist, wie die Biographien ihrer Onkelz. Die sind eben anders als andere Bands, ehrlicher, mit ausgeprägter Fannähe, die einen an allem gerne teilhaben lassen. In diesem Werk scheint es einmal umgekehrt zu sein. Andy erzählt, wie gut er nachvollziehen kann, was BO durchmachen. Er hatte es als Aussteiger der rechten Szene immer schwer und kämpfte um Anerkennung. Madeleine und Kerstin finden viele andere Bands wegen der Eintönigkeit der Songtexte zum Kotzen. Joya weiß genau, dass man mit den Onkelz nicht viele Freunde hat, außer eben die Onkelzfamilie. Alle anderen stempeln einen nur ab. Es wird einmal aufgezeigt, dass es hier nicht um Politik geht, was der Band immer wieder vorgeworfen wird, auch 35 Jahre nach zwei Songs, die Weidner wohl lieber nicht geschrieben hätte. Es geht um etwas ganz anderes, was Kritiker einmal anerkennen und begreifen müssen, was sie recherchieren, erfahren und geistig erfassen müssen.
Gleichzeitig zeichnet Farin den Weg der Band nach, abgespeckt und vor allem immer ein Augenmerk auf die dunklen Seiten gelegt, auf die Hater, auf die Indizierungen, auf die "bösen" Texte, auf die Lügenpresse.
Nun, Buch der Erinnerungen hat durchaus seine Berechtigung und ist eine gute Sammlung von Fanzitaten und Erinnerungen. Ohne einen Zensurstreifen über die Texte zu legen, bringt Farin sowohl die Texte der indizierten Platte Der nette Mann, als auch die Auszüge des Schreibens der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (brachte man nicht in dieser Ausführlichkeit in Danke für Nichts), die begründen, warum die Scheibe überhaupt indiziert wurde. Dabei wird eine gewisse Absurdität deutlich, die weit über das hinausgeht, was man in den meisten Rückblicken auf die Bandgeschichte erfährt. Manchmal muss man sich geradezu fragen, wessen Töchterchen von Stephan Weidner entjungfert wurde, dass der gestrenge Papi bei der BPjS so scharf und grundlagenlos gegen den netten Mann vorging. (Auch das ist eine schöne Diskussion. Eigentlich geht es doch gar nicht um BO, sondern nur um Weidner, denn es sind seine Texte, seine Worte, seine vermeintlichen Verfehlungen - und Achtung, liebe Kritiker, ihr macht ihn hier zum Märtyrer, was ihr gar nicht wollt.) Kurze Interviews werden abgedruckt, die Einstellung zu Politik, der rechten Szene und einigen anderen Themen wird deutlich dargestellt. Farin stellt eben die Meinung der Band noch einmal dar und zeichnet einen guten Überblick über eine doch eigentlich bekannte Bandgeschichte.
Es ist ein ganz gutes Buch, dennoch kann ich mich nicht ganz den Lobeshymnen auf den Bewertungsportalen anschließen. Vielmehr scheint es von Fans für Fans zu sein, sie zu verstehen und so manchem außerhalb der Familie näher zu bringen, was die Onkelz für ihre Anhänger so wertvoll macht. Mal ein schöner Gegenpol zu den sonstigen medialen Schlägen gegen die Frankfurter, aber mir fehlt etwas, ohne genau greifen zu können, was es ist. Sehr positiv ist der Anhang mit Veröffentlichungen und Konzerten. Sehr gute Arbeit!
Conny Agel
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Zu Zeiten der Punkbewegung gründeten Stephan Weidner (Bass), Kevin Richard Russell (Gesang) und Peter "Pe" Schonowsky 1980 in Frankfurt die Böhsen Onkelz. Ein Jahr später stieß Gitarrist Matthias "Gonzo" dazu. Die Band orientierte sich immer stärker an der Oi!-Bewegung und nahm Songs mit ausländerfeindlichen Inhalten auf, die vor allem in der Skinheadszene beliebt waren. 1984 erschien das bis heute indizierte Album „Der nette Mann“. Ende diesen Jahres begann die Band damit, sich von der Szene und deren Gedankengut zu distanzieren. In den folgenden Jahren folgten Alben wie „Kneipenterroristen“, „Heilige Leider“ oder „Es ist soweit“, welche die Fangemeinde kontinuierlich vergrößert haben, auch wenn ihnen der Makel der Vergangenheit oft noch nachhing. Mit ihrem Album „Viva Los Tioz“ erreichten die Böhsen Onkelz 1999 erstmals den ersten Platz der deutschen Albumcharts und wurden für den Echo nominiert. Seitdem erreichte jedes Album den Spitzenplatz der Charts und die Onkelz mauserten sich zu einer der erfolgreichsten deutschen Rockbands. 2004 kündigten sie ihren Rücktritt an, den sie mit einer Tour und einem gigantischen Abschiedsfestival auf dem Lausitzring mit ihren Fans feierten. Im letzten Jahr dann das große Comeback am Hockenheimring, dem in diesem Jahr vier weitere Konzerte folgten. 2016 soll dann auch ein neues Studioalbum der Onkel erscheinen.
Mit „Buch der Erinnerung“ legt der Journalist Klaus Farin nicht einfach nur eine Biografie über Deutschlands umstrittenste Band vor - vielmehr kommen die Menschen zu Wort, die dafür sorgen, dass der Mythos Böhse Onkelz lebt - die Fans. Und diese setzen sich aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten zusammen. Sehr eindringlich erfährt der Leser, warum so viele Songs der Band für ihre Anhänger eine besondere Bedeutung haben. Hier zeigt sich, das Klaus Farin ohne Vorurteile Stimmen gesammelt hat und die Band und ihre Anhänger (zu denen auch ich mich zähle) von allen Seiten zeigt. Sehr schön wird auch deutlich, dass die Musik der Onkelz für viele Fans ein Stück Lebensmotto ist.
Fazit:
Wer wissen will, warum es die Band aus Frankfurt schafft, ohne ein neues Album im Gepäck über vierhunderttausend Menschen in die Eifel zu bewegen, um dort an zwei Wochenenden vier gigantische Konzerte abzufeiern, ist mit diesem Buch gut beraten, da man einen ehrlichen Einblick in die Seele der Fans und damit auch in die der Musiker bekommt. Ein interessantes und lesenswertes Buch über eine der wichtigsten und besten deutschen Rockbands.