Rezension zu "Die Halbwertszeit der Liebe" von Corinna T. Sievers
„Jede Komik, die von mir ausgeht, ist unfreiwillig“, gesteht Margarete auf Seite 189. Doch das kann ich ihr als Leserin nicht glauben, schließlich haben die bisher gelesenen Seiten die Lachmuskeln ziemlich strapaziert. Dabei gibt es Sätze, die die Protagonistin so unterwürfig zeigen, dass ich eigentlich um meine Geschlechtsgenossin weinen sollte.
Doch von vorn: Dr. Margarete Dorn, 45 Jahre alt, wiegt bei 1,81 Meter Größe nur 55 Kilo. Sie ist Fachärztin für Schönheitschirurgie und an Dysmorphologie (überzeugt, missgestaltet zu sein) erkrankt. Auf einem Ärztekongress beschließt sie, ihren Kollegen Professor Dr. Hans Heinrich zu lieben. Doch dem ersten Stelldichein kommen beinahe die beiden Hunde Lotte und Werther aus ihrer geschiedenen Ehe in die Quere.
Wie es sich für Verliebte gehört, ist Margarethe völlig durcheinander. Viele medizinische Begriffe verwirrten auch mich als Leserin. Zum Glück werden sie auf die ein oder andere Weise erläutert, so dass ich nun auch weiß, was Apoptose bedeutet. Ebenso karg wie Margarethes Körperbau ist ihre Art, Gefühle zu zeigen. Sexualtheoretisches Wissen akquiriert sie unter Zuhilfenahme medizinischer Datenbanken. Mit den Bezeichnungen der Körperteile kennt sie sich aus, schließlich hat sie beim Botoxspritzen ständig damit zu tun. Statt zu genießen, analysiert sie jedes Geschehen im und am Körper.
Beim Lesen war ich immer wieder hin- und hergerissen. Mal konnte ich herzhaft auflachen, dann wieder nur den Kopf schütteln. Die Sprache der Autorin war ebenso schmucklos wie das Cover. Trotzdem – oder gerade deshalb? - schaffte sie es, mich in die Geschichte hineinzuziehen. Jedesmal, wenn ich glaubte, nun wäre alles erzählt, gab es eine neue Wendung, die mich weiterlesen ließ. Auf so ein Ende war ich allerdings nicht vorbereitet. Doch das muss jeder Interessent selbst lesen.
Auch wenn mir auf den letzten Seiten das Lachen im Hals stecken blieb, hat mich das ungewöhnliche Buch der auf Fehmarn geborenen Autorin angesprochen. Corinna T.Sievers arbeitet seit 2004 als private Kieferorthopädin in der Nähe von Zürich und wurde 2018 für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert.
Gut zusammengefasst war 2016 in der Baseler Zeitung zu lesen: „Corinna Sievers vermag zu diagnostizieren und zu amüsieren, wie es kaum eine zweite Gegenwartsautorin in der Schweiz schafft. (…) Dies ist eine Leseempfehlung. Und eine Warnung: Corinna Sievers Roman ist zwar leicht zu lesen, aber schwer zu verkraften. Sie zerstört Frauen- und Männerbilder, die uns allen lieb geworden sind. (…) Danke, dass wenigstens eine die Wahrheit sagt und das auf so coole, unsentimentale Weise.“