Cover des Buches Dir werd ich helfen (ISBN: 9783867391375)
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Rezension zu Dir werd ich helfen von Cornelia Schmitz

Ein gefühlvoller Einblick in die Werkstätten für Menschen mit psychischer Behinderung

von himbeerbel vor 6 Jahren

Rezension

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himbeerbelvor 6 Jahren
Wie hatte die Dame der Arbeitsagentur gesagt? „Sie brauchen eine sinnstiftende Tätigkeit, Frau Sudfeld, eine Tagesstruktur. Das wird ihnen ganz sicher helfen.“ Als Ergebnis dieser Unterhaltung findet sich Eli, die unter einer Bipolaren Störung leidet, in einer Werkstatt für behinderte Menschen wieder, in ihren Augen keine geeignete Maßnahme, um ihr anhaltendes Stimmungstief zu beheben. Sie vermisst nicht nur die ‚rosarote Brille der Manie‘, die kommunikativen Typen aus der Psychiatrie und ihren Liebsten, sondern eine komplexe Aufgabe zur Belebung ihrer Lebensgeister.

So weit, so interessant, so anschaulich, so lebensnah. Als Leserin, die ebenfalls manisch-depressiv erkrankt und dadurch schwerbehindert ist, machte ich vor einigen Jahren eine berufliche Reha und befand mich in ähnlichen Einrichtungen, wie die Protagonistin dieses fiktiven Werkstattkrimis.

„Es war wie in einem Brunnen, in den kaum Licht fällt: Die Werkstatt und die Menschen darin wurden von der Öffentlichkeit kaum gesehen, nicht die kleinen, manchmal auch großen Erfolge, nicht die Vorsicht, das Zartgefühl, auch die Güte, die es hier, unter den Außenseitern, oftmals gab, auch die Freude am Arbeiten, der Stolz auf das Geleistete, der Wille, anzupacken.“ (S. 121)

Die Menschen und Begebenheiten fand ich sehr gut eingefangen und fühlte mich teilweise in diese sehr anstrengende, aber auch wohl behütete Zeit zurückversetzt.

„Weißt du, Eli“, hatte Gertrud gesagt, „viele bei uns, auch Deborah, wirken auf den ersten Blick ganz normal. Sind es ja auch. Aber auf den zweiten Blick, wenn man genauer hinschaut, dann merkt man eben, warum jemand hier ist. Sie sind labil, können sich nicht wehren, so wie Deborah, oder haben schlimme Albträume, wenn sie überhaupt schlafen, haben Angst, alles falsch zu machen, so wie Melanie, können überhaupt keinen Stress vertragen oder kriegen kein vernünftiges Gespräch zustande, auch wenn es niemanden hier gibt, der gar nichts mehr blickt, verstehst du?“ (S. 72)

Eli versteht und arrangiert sich – anfangs widerwillig – mit der Situation. Ihre Gedankengänge und Vorbehalte sind nachvollziehbar dargestellt. Das ist neben der Schilderung der Werkstatt die eigentliche Stärke und das Interessante an diesem Buch, das meines Erachtens besser kein Krimi geworden wäre. Der „Kriminalfall“ beginnt eigentlich erst im letzten Drittel des Buches und fühlt sich für mich wie ein Fremdkörper an, der nachträglich an die Geschichte angehängt und später mühsam eingeflochten wurde. Als fiktiver Part bringt er eigenartige Auswüchse mit sich. Abstrus finde ich die Schilderung einer in der Einrichtung für psychisch Kranke öffentlichen Bildergalerie mit den bereits verstorbenen Mitarbeitern. Ebenso abwegig erscheint mir, dass in ebendieser Einrichtung von allen Mitarbeitern und Kollegen immer wieder betont wird, dass die zuletzt verstorbene Mitarbeiterin keinen Grund für ihren Suizid gehabt habe. Das sind Floskeln, die sich psychisch Kranke oder Sozialarbeiter in diesem Bereich doch eher verkneifen.

„Das Buch ist Fiktion und abermals Fiktion“ betont die Autorin, die unter Pseudonym schreibt, im Nachwort ausdrücklich. Für mich war allerdings der überwiegende Teil dieses Buches so nah an der Wirklichkeit und die Gedankenwelt der Protagonistin so nachvollziehbar und gut beschrieben, dass mir die unausgereifte Fiktion nicht gefallen mochte. Dennoch kann ich das Buch Lesern empfehlen, die einen kleinen Einblick in die Arbeit der Werkstätten für Menschen mit psychischer Behinderung bekommen möchten – und die sich dafür interessieren, mit welchen gemischten Gefühlen die Arbeit dort verbunden sein kann.
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