Rezension zu "Die Geheimnisse Italiens" von Corrado Augias
Spüren der „Seele“ eines Volkes
Vorweg gesagt, dies ist kein Roman, sondern eine Sammlung von elf Essays, in denen Augias in eleganter, verständlicher und wunderbar daher fließender Sprache dem Leser mittels ausgewählter Literatur, Einblick in die Geschichte mancher Städte und angehaftet an konkreten Persönlichkeiten dem Leser einen tiefen Einblick in die Mentalität Italiens gibt.
„Eine Reise durch Raum und Zeit“, in der Augias immer wieder „Archetypen“ des Landes und der „Lebensform“ vor Augen führt, die sich auch in der Literatur Bahn gebrochen haben.
Nicht umsonst legt Augias dem Leser realativ zu Anfang zwei zentrale Romane Italiens in ihrer Verwobenheit in „das wahre Leben“ vor Augen. Ein „Blick von Innen“, wie er emotional verständlicher nicht sein könnte, um die „Seelen“ vor Augen zu führen.
De Amicis „Herz“ und D´Annunzios „Lust“.
Das eine ein Volksroman des „bürgerlichen“ Italiens mit einer Vielzahl von Personen, welche die verschiedenen Facetten dieser Welt im Land von allen Seiten widerspiegelt. Der „Geist“ der guten Absichten, das politisch Korrekte, der bürgerliche Fleiß. Manchmal ein wenig „blutleer“ und langweilig, was für so manch andere Bewohner des Landes als „No Go“ gilt.
Das andere der Roman der lebensverschlingenden Seite Italiens. Der hedonistischen „Schicht“, der in aller Offenheit diese Lust an der Liebe, am Leben, dieses wankende und schwankende an Trieben und Emotionen bestens auf den Punkt bringt.
Das Land der „Varietekünstler“, der Schamlosen, die über ihre Verhältnisse beständig leben, flüchtige Affären, geraubter Sex, schnelles Lachen, lockere Zunge, „sie wollen Regeln, wir wollen Freiheit“.
Auch eine faszinierende Seite des Lebens (wie sonst wäre die lange Amtszeit Berlusconis zu erklären). Eine Seite, die natürlich öffentlichkeitswirksam im Raum steht, welche die „bunten Seiten“ zu Hauf füllt, dennoch aber nicht die „Mehrheit“ darstellt.
Archetypen zweier Seiten des Landes, das einerseits von Gott „sonnig“ geküsst und kulturell weit herausgehoben vor Augen steht, dass mehr Genies, Künstler, „Seelenmenschen“ wie Franziskus hervorgebracht hat als die meisten anderen Nationen, und das andererseits in sich nie wirklich geeint sich gefunden hat. „Zur Revolution nicht fähig ist“, sondern nur zu kleineren Aufständen, weil der Mut vielleicht fehlt, die Bereitschaft, sich zu opfern oder überhaupt sich Schmerzen zuzufügen. Als „feige“ geltend, und doch zu heroischen Taten auch militärisch in der Lage gewesen. Land der Gegensätze und Widersprüche, ohne Frage
„Alle Vorzüge und Fehler des Landes liegen offen zutage und im Übrigen tun auch die Italiener selbst nichts, um sie zu vertuschen. Das gilt vor allem für die Fehler“.
Eine Bandbreite zwischen Michelangelo, Franziskus und Berlusconi, zwischen „den Tag dahin streichen lassen“ und „Welt-Kunst“, hinter der vor allem Disziplin steckt. Zwischen schnell aufstecken (der Fall Venedigs) und konsequent durchhalten (Galileo). Zwischen Leonardo da Vinci und der Mafia, samt wiederum der mutigen und tapferen Richter, Staatsanwälte und Polizisten, die dagegen unter Lebensgefahr angehen.
Ein Land zwischen industrialisiertem, bürgerlichem Norden (mit der „Hauptstadt“ Mailand) und „Dolce Vita“ (mit der „Hauptstadt“ Rom) und lange Zeit mit vom Orient geprägten Mentalitäten in Sizilien.
Eine Mischung „hunderter Kulturen und Völker“, die es unmöglich macht, von „dem Italiener“ und „dem Italien“ letztgültig sprechen zu können.
Eine rationale Einordnung entzieht sich dem Betrachter und so wählt Augias zwar den rationalen Zugang, vollzieht diesen aber auf der bestmöglichen Ebene für den Leser: Indem er Assoziationen, Emotionen und Wiedererkennungswerte in hoher Zahl wachruft.
Eines wird ganz deutlich im Lauf der Lektüre: Dieses Vorurteil „von außen“, Italien wäre „die Krone der Schöpfung“, der Italiener aber misslungen, „kriminell und schmutzig, korrupt und faul“ kann natürlich nicht sein.
Denn: „die Italiener“ haben Italien geformt in all seinen Widersprüchen und dramatischen historischen Momenten und wiederum hat die Geographie den Menschen mit geformt.
Ein gegenseitiges Bedingen und ein allseitiges „sich reiben“, aber auch befruchten, welches Augias wunderbar je auf den Punkt bringt.
Wer sich in Italien vertiefen möchte, sich hier und da in dieser kaum fassbaren, prallen Vielfalt an Kultur, Geschichte und Mentalität bereit ist, zu verlieren, der ist mit diesem hervorragend geschrieben und sachlich fundierten Buch bestens bedient.