Cover des Buches Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte (ISBN: 9783734847035)
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Rezension zu Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte von Crystal Chan

Mit Worten fliegen lernen

von splitterherz vor 9 Jahren

Rezension

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splitterherzvor 9 Jahren
"Man hätte fast meinen können, wir hätten Angst vor Worten. Sie hingen unausgesprochen in der Luft, und wenn sie merkten, dass sie nicht gebraucht wurden, schrumpelten sie in sich zusammen und starben."
[S. 41]

Inhalt:
Der Geburtstag der zwölfjährigen Jewel ist gleichzeitig auch der Todestag ihres Bruders Bird, den sie daher nie kennenlernen durfte. Der tragische Verlust hängt über der Familie und Jewel fühlt sich mehr und mehr unverstanden und als unakzeptierten Ersatz für Bird - ihre Eltern beachten sie kaum und schweigen alle Probleme tot und ihr Großvater hat seit jenem Tag nie mehr ein Wort geredet. In diesem Sommer jedoch lernt Jewel John kennen und zwischen Sternen, Steinen, Freundschaft und Veränderungen, lernt sie endlich zu fliegen...

Meine Meinung:
Fliegen mit Worten, tieftrauriges Regenwolkengrau und klatschmohnfarbiges Glück, eine Geschichte mit Herz und Schwere durchzogen mit federleichten Schmunzelmomenten - dieses Buch ist voll davon. Es ist voller unterschiedlicher Gefühle und Gedanken, Menschen und Themen, dass man meinen könnte, es würde überschwappen, aber trotz allem bleibt es auf dem Boden, ist echt, authentisch und real - so real, wie ein Buch nur sein kann. Über "Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte" liegt die ganze Geschichte über eine bedrückende Grundstimmung, die dem Leser dann und wann auf jeden Fall Tränen in die Augen treiben wird - aber ganz ehrlich? Ich habe gerne geweint. Ich habe dieses Buch gerne gelesen und es hat mich von der ersten bis zur letzten Seite immer wieder überrascht, neugierig gemacht, traurig und glücklich werden lassen. "Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte" ist eines dieser Bücher, bei denen ich nicht nachdenken musste, wie ich es bewerten würde - es kann nur fünf Herzchen bekommen.

Aber warum eigentlich? Was unterscheidet dieses Buch von anderen Büchern über Trauerbewältigung und vernachlässigte Kinder? Es ist einfach anders. Ganz anders und doch so gleich - es ist wirklich schwer zu beschreiben. Vielleicht ist es die Tatsache, dass man Entwicklungen beobachtet, unglaubliches Mitleid und gleichzeitig große Sympathie zu Jewel empfindet, die dem Leser ihre Geschichte so ungeschönt erwachsen und gleichzeitig so zauberhaft kindlich erzählt. Vielleicht ist es aber auch einfach die Tatsache, dass der Verlust zwar im Mittelpunkt steht, aber immer wieder über andere Themen geleitet erzählt wird. Es geht um so viel in der Geschichte, ohne das Chan dabei beurteilt und bewertet: Religionen, Aberglaube, Freundschaft, Liebe, Familie, Werte, eine kleine Dorfgemeinschaft, der nichts verborgen bleibt, aber auch genauso sehr der Weg eines kleinen Mädchens, das im Schatten ihres toten Bruders lebt und dem nicht zu entfliehen weiß.

"Ich begriff, dass Herzen sich nicht über Worte ausdrücken, wie wir es aus Filmen oder Liedern kennen; ich glaube in Wirklichkeit brauchen sie Platz."
[S. 217]

Dabei lernt der Leser nicht nur Jewel besser kennen, die eine intelligente und aufgeweckte, wenn auch von ihren Eltern sehr vernachlässigte Protagonistin ist, sondern auch ihre komplette Familie und deren Umgang mit der Trauer, was gerade im Hinblick auf Jewels Großvater unheimlich bewegend war. Ihre Beziehung und die Entwicklung dieser zu ihrem Großvater fand ich zauberhaft beschrieben und hat mir mehr als einmal die Tränen in die Augen getrieben. Überhaupt schafft Chan es, eindringlich und ruhig zu erzählen und mit einer solchen Sanftheit, dass man sie kaum vergessen kann. Hinzu kommt die Wortgewalt, die dieses Buch an den Tag legt und mit hohem Anspruch, ohne dabei unverständlich zu sein, eine wunderschöne und todtraurige Geschichte erzählt, die nicht nur von Kindern gelesen werden sollte. Ganz im Gegenteil, dieses Buch ist für Groß und Klein und wird vermutlich jeden auf seine Weise berühren.

Fazit:
Manche Bücher sind wie Vögel - sie bringen einem das Fliegen mit Worten bei und "Ich und Bird und der Sommer, in dem ich fliegen lernte" ist ohne jeglichen Zweifel eines dieser Bücher. Wer hoch fliegen, manchmal ein wenig abstürzen und sich dann wieder aufrappeln will und gleichzeitig ein tieftrauriges und wunderschönes Buch über Verlust und Freundschaft mit einer zauberhaften Protagonistin lesen möchte, sollte dieses Buch lesen. Und jeder andere im Grunde auch, denn diese Geschichte gibt einem unheimlich viel und wird einen gedanklich sicherlich lange Zeit begleiten. Wortgewaltig, kunterbunt und regenwolkengrau - unbedingt lesen!
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