Rezension zu "T. Singer" von Dag Solstad
Auf dem Weg ins Nirgendwo, um in einer Kleinstadt eine neue Arbeitsstelle als Bibliothekar anzutreten, unterzutauchen in der Stille zwischen Regalreihen und Büchern. Der vierunddreißigjährige Singer hat nach Beendigung seiner Ausbildung in Oslo ganz bewusst eine Anstellung abseits des Umtriebs der Stadt gesucht, denn dort lauert viel zu viel Aufmerksamkeit und genau die, will Singer auf jeden Fall vermeiden. Nun ist er kein straffälliger Unhold, der untertauchen muss, jedoch ist er ein zutiefst schambehafteter Mensch, der in jeder Situation eine Bloßstellung vermutet, die ihn dann immer wieder heimsuchen wird. So war es auch mit der peinlichen Situation in seiner Kindheit, die ihm mit steter Regelmässigkeit bewusst wird. Damals als er sich einem Freund zuliebe oder besser um ihm zu gefallen, im Spielzeugladen über eine Aufziehpuppe lustig gemacht hatte. Laut hatten sie gelacht und die Puppe immer wieder aufgezogen, beobachtet von der Verkäuferin…und Singers Onkel. Diese Schmach haftet ihm an, wie ein für jeden sichtbarer Makel. Er hatte sich nicht wie er selbst verhalten und war dabei beobachtet und beurteilt worden. Davor und vor seinem Leben an sich versucht Singer sich in Notodden zu verstecken. In der ruhigen Umgebung und Routine der gut sortierten Kleinstadt-Bibliothek lebt Singer sogar etwas auf und nimmt Einladungen seiner Kollegen zu gemeinsamen Essen an.
Als er Merete, die Töpferin, kennenlernt, scheint er einen Menschen gefunden zu haben, der seinen Wunsch nach Unsichtbarkeit akzeptieren kann. Aber das Leben wäre nicht das Leben, wenn es ruhig und gemächlich vor sich hinfließen würde und so wartet die nächste Stromschnelle auf Singer.
Dag Solstads Singer ist sich wohl selbst das größte Rätsel. Im Grunde will er auch von seinem Leben nicht „heimgesucht“ werden, so wenig, wie er es sich von anderen Menschen wünscht. Er fühlt sich von seinem Umfeld, den Erwartungen, den unvorhersehbaren Reaktionen und Gesprächen schlicht überfordert. Dennoch befindet er sich auf einer Suche, eine Suche nach einem geschützten Raum, einem Sichtschutz vor der Außenwelt.
Solstad zieht mit seiner Erzählweise, die sehr harmonisch zwischen nüchternem Statusbericht und fürsorglicher Ironie für seinen Protagonisten und dessen Verhaltensweisen hin und her pendelt. Sein Singer wird von ihm allerdings nicht karikiert, sondern eher mit einem schützenden Mantel aus feinsinnig ausgewählten Worten, die sich zu langen Sätzen anhäufen, umgeben. Auf eine sehr fesselnde Weise verschlingt man Satz um Satz und gibt die Hoffnung auf einen Sonnenfleck in Singers Schattendasein nicht auf. Aber Singer bleibt Singer und dafür kann man ihn einfach nicht verurteilen.