Daniel Miller und seine Kollegin Fiona Parrott trauen ihren Augen nicht: George, alleinstehend und 76 Jahre alt, bewohnt seit einem Jahr ein Reihenhaus, das abgesehen von den notwendigsten Möbeln und ein paar Teppichen absolut leer ist. Kein Bild, kein Foto, kein bisschen Dekoration – kein Hinweis auf den Menschen, der hier lebt. Wie ist es möglich, dass ein Engländer in diesem Alter rein gar nichts Persönliches besitzt? Der Blick des Anthropologen Miller irrt suchend umher, aber nichts weckt seine Aufmerksamkeit, nichts sein Interesse. „Man empfindet einen Mangel an Form, Respekt und Integrität“, schreibt er in seinem Buch „Der Trost der Dinge“, in dem die Geschichte von George eine von 15 ist. Miller und seine Kollegin besuchten vor ein paar Jahren 100 Haushalte in einer gewöhnlichen Wohnstraße im Süden Londons, um herauszufinden, wie sich die Persönlichkeit und die Lebensverhältnisse von Menschen in den Dingen widerspiegeln, mit denen sie sich innerhalb der eigenen vier Wände umgeben. Und welche Bedeutung die Dinge für die Beziehung der Menschen zu sich selbst und zu anderen Menschen haben. Indem die Wissenschaftler die Bewohner nur nach den Gegenständen fragten und direkte Fragen nach ihrem Privatleben vermieden, bekamen sie meist ungezwungene Antworten, die sie wiederum in Bezug zu ihren eigenen Eindrücken von den Dingen und von ihrem Gegenüber setzten. So entstanden unvergessliche Bilder von ganz unterschiedlichen Mikrokosmen; und feine, teilweise sehr berührende Porträts von Menschen, die manchmal eine sehr ungewöhnliche Beziehung zu bestimmten Dingen oder, wie George, generell Materiellem gegenüber haben.
Daniel Miller lehrt Ethnologie am University College in London und hat schon das Einkaufsverhalten von Hausfrauen im Supermarkt, die Handynutzung in der Karibik und die Bedeutung des Weihnachtsfests in nichtchristlichen Gesellschaften untersucht. Bevor er für diese Studie die typisch englischen Reihenhäuser betrat, wusste er nicht, was ihn erwarten würde. „Ich erwartete nur, auf die Kümmernisse des Lebens und den Trost der Dinge zu treffen.“
Die meisten Menschen in diesem Buch haben Dinge, die sie trösten, die sie mit anderen Menschen verbinden oder eine Entwicklung oder einen Traum symbolisieren: Für Marina stehen die Happy-Meal-Figuren von McDonald's, die sie sammelt, für Auflehnung und Abgrenzung gegen ihre Eltern und glückliche Stunden mit ihren Kindern. Die Hippie-Frau Di tankt nach der Arbeit Energie in ihrer Wohnung voller bunter Dinge aus der ganzen Welt. Für Malcolm, der mal in England, mal in Australien arbeitet, ist sein Laptop sein Zuhause. Anna bestellt für ihren Sohn, der noch viel zu klein dafür ist, jede Menge Spielzeug, das sie selbst als Kind nicht bekam. Nur George lebt völlig isoliert. Abgesehen von einer Cousine hat er keine sozialen Kontakte und eben auch keine Gegenstände, die ihn mit seiner Vergangenheit oder mit der Außenwelt verbinden. Er weiß sehr wohl, wie es in normal eingerichteten Wohnungen aussieht, aber George hat nie gelernt, etwas selbst in die Hand zu nehmen. Seine Eltern hatten seine Selbständigkeit unterbunden, später lebte er immer Wohnheimen. Er weiß, dass er sein Leben verpasst hat. Miller lässt die Trostlosigkeit dieses Lebens und die innere Leere dieses alten Mannes aus jedem Stück weißer Wand sprechen.
Doch es ist Weihnachtszeit und natürlich gibt es auch in jener Londoner Straße nicht nur Leere, sondern auch Fülle. Ein paar Häuser weiter haben Mr. und Mrs. Clarke ihr Haus so üppig, aufwändig und fantasievoll geschmückt, wie Miller es noch nie gesehen hat. Die Clarkes kultivieren seit Jahrzehnten ihre Leidenschaft für das Weihnachtsfest mit einer immer ausgefeilteren Weihnachtsdekoration und einem Festmahl für ihre große Familie. Auch Geschenke sind für sie ein Zeichen der Liebe und Anerkennung, die sie jedem gleichmäßig zukommen lassen möchten. Auch in Mr. Clarkes Sammlungen – von Weihnachtsdekoration, über Briefmarken und Uhren bis zu Oldtimern – entdeckt der Anthropologe Miller eine große Wertschätzung für die Dinge und einen ausgeprägten Sinn für Beständigkeit und Tradition.