Rezension zu "Warum Perfektion sinnlos und an jedem Gerücht was dran ist" von Daniel Rettig
Zwar ist der Satzbau etwas anders, aber das steht in der Einleitung zu diesem Buch. Was für andere gilt oder in verwandten Situationen, muss noch lange nicht für einen selbst funktionieren. Was Daniel Rettig hier präsentiert, sind vor allem statistische Wahrheiten. Sie stammen aus wissenschaftlichen Untersuchungen, die meistens etwas herausfinden, was man intuitiv bereits weiß. Nun aber ist es amtlich, denn die Wissenschaft ist schließlich die neue Gottheit.
Ich bin da zugegeben etwas skeptisch, weil ich aus Erfahrung weiß, dass Anwender manchmal vergessen, welche Voraussetzungen bei der Benutzung bestimmter statistischer Verfahren erfüllt sein müssen. Aber solange die Ergebnisse mit Erfahrungswerten übereinstimmen, kann man ihnen wohl vertrauen. Hinter diesem Buch steckt eine ungeheure Fleißarbeit, denn sein Prinzip beruht auf der Auswertung von Studien. Zu jeder der "77 schonungslosen Jobwahrheiten" gehört wenigstens eine statistisch untermauerte Studie, die Rettig offenbar gelesen haben muss. Man findet die zugehörige Literatur am Ende des Textes.
Mir war gar nicht bewusst, dass die Zahl 77 irgendeinen merkwürdigen Hintergrund besitzen soll. Gibt man sie in die Suchmaske ein, dann findet man eine Reihe von Ratgebern, die genau 77 Ratschläge enthalten. Seltsam. Oder albern.
Leider habe ich sehr lange gebraucht, um dieses Buch bis zum Ende zu lesen. Das lag einfach daran, dass es ermüdet. Jede dieser 77 "Wahrheiten" wird auf zwei bis vier Seiten dargestellt, was etwa so abläuft: Ein paar einleitende Sätze, die schließlich zur passenden Studie führen, welche danach kurz erklärt wird. Dann folgt die Auswertung für den Leser. Da die Themen vielfältig sind, ermüdet man schnell: zu viel Informationen in schneller Reihenfolge. Eine Ordnung nach Themen ist nicht zu erkennen.
Das merkt man auch daran, dass Rettig zwischen Ratschlägen, die man vielleicht persönlich umsetzen kann, und solchen, die ganz allgemeiner Natur sind, hin und her springt. Da erfährt man zum Beispiel, dass Treue zum Arbeitgeber nicht glücklich macht. Und dann, dass Introvertierte nicht auf den Chefsessel wollen. Hochbegabte sind anfällig für Probleme, Idioten werden eher Chef, und im Home Office macht man keine Karriere. Das sind alles Überschriften zu den entsprechenden "Wahrheiten".
Um es kurz zu machen: Das Buch ist sehr informativ, gut geschrieben, aber dennoch anstrengend zu lesen. Und über den praktischen Nutzen kann man sich vermutlich streiten. Ich glaube, dass er gegen Null geht, weil man die meisten Ratschläge nur schwer befolgen kann. Nette Leute verdienen weniger, heißt es beispielsweise. Aber nett zu sein, resultiert oft aus Charaktereigenschaften, die man schwer abstellen kann. Und möglicherweise auch gar nicht abstellen will.
Im Grunde ist dieses Buch also lediglich eine Zusammenfassung vieler tatsächlich interessanter soziologischer Studien, die meistens das bestätigen, was man bereits weiß, wenn man gut beobachten kann.