Cover des Buches Jaffa Road (ISBN: 9783596703845)
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Rezension zu Jaffa Road von Daniel Speck

So dicht und emotional erzählte Weltgeschichte.

von Madame_Klappentext vor 3 Jahren

Kurzmeinung: Ein wahres Herzensbuch. Unglaublich vielschichtig erzählt und voller Emotionen. Eine absolute Leseempfehlung.

Rezension

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Madame_Klappentextvor 3 Jahren

Inhalt: Nachdem Maurice verstorben ist, treffen sich seine Enkelin Nina und deren jüdische Tante Joëlle in Palermo, um mehr über die Umstände des Todes zu erfahren und um sich um den Nachlass zu kümmern. Dabei erfahren Sie eine Menge über Maurice, der als Moritz auf die Welt gekommen ist. Wer war seine Familie? Wohin hat ihn sein Weg geführt? Sie stoßen dabei nicht nur auf Elias, der irgendwie auch zur Familie gehört, sondern stellen sich auch die Frage nach der eigenen Identität, denn Elias ist Palästinänser mit einer Mutter, die aus Jaffa kommt, nicht weit weg von dem Ort, an dem Joelle viel Jahre ihrer Kindheit und Jugend verbracht hat.
Jaffa Road erzählt aber nicht nur die Geschichte einer Familie, sondern zweier Völker, die das selbe Stück Land ihre Heimat nennen und deren Schicksal auf tragische Weise miteinander verknüpft ist. Weltgeschichte wird in diesem Roman greifbar und vorallem mit Menschen belebt, die in den poltischen Wirren einfach nur überleben wollen.

Leseeindruck: An die Lektüre dieses Buches bin ich ganz ohne Erwartungen gegangen. Einzig und allein gute Unterhaltung habe ich mir gewünscht und dabei so viel mehr bekommen. Die Geschichte geht so ans Herz, dass ich manchmal regelrecht eine kurze Pause eingelegt habe, um meine Gedanken zu sortieren. Zunächst sei gesagt, dass ich den Vorgängerroman „Piccola Sicilia“ noch nicht gelesen habe (das hole ich gerade nach). Trotzdem sind mir die Figuren sofort ans Herz gewachsen und ich hatte nie das Gefühl, die Geschichte nicht zu verstehen. Der Zauber entfaltet sich auch so in Windeseile. Zunächst habe ich mit Maurice, Yasmina und der kleinen Joëlle gelitten, aber auch gelacht. Ein paar Kapitel später wird die Perspektive der jüdischen Familie, die in Israel eine neue und auch sichere Heimat sucht, komplett auf den Kopf gestellt. Mit der palästinensischen Familie rund um Amal und deren gewaltsamen Vertreibung aus ihrer Heimat. Mein Herz platze fast, weil ich doch allen einen Platz darin bieten wollte. Beide Schicksale sind berührend, authentisch und voller Leid. Es gibt kein Gut oder Böse. Richtig und Falsch versucht man vergeblich zu definieren. Es will einfach nicht gelingen, denn es kommt immer auf die Perspektive an. Von diesen werden den Leser*innen unwahrscheinlich viele geboten, denn auch die Storyline der Gegenwart bietet nocheinmal eine andere Sicht auf die Staatsgründung Israels und der damit verbundenen Kolonialisierung Palästinas. Joëlle hat das alles als Kind selbst erlebt, während Elias aus den Erinnerungen seiner Mutter schöpfen kann, wohingegen Nina zu vermitteln versucht. Beim Lesen wurde mir schmerzlich bewusst wie wenig oder eher einseitig ich über den Konflikt in Nahost informiert war. Leider bewahrheitet sich hier der Satz, dass Geschichte von den Siegern gemacht wird. Spätestens nach „Jaffa Road“ sollte jedem klar sein, dass es bei dieser Geschichte einfach keine Sieger geben kann. Leid auf allen Seiten und in unendlichen Formen ist das vorherrschende Motiv. Man bekommt also ganz nebenbei ein wirklich gut recherchierte Reise durch die Geschichte geliefert, die mit der Staatsgründung Israels beginnt, über die Geiselnahme während der Olympischen Spiele in München bis hin zu Geheimdienstoperationen in deren Nachgang reicht. Die familiären Schicksale spielen sich vor dem Hintergrund der großen politischen Verwerfungen ab und werden dadurch erst richtig greifbar. Neben den großen geschichtlichen Ereignissen der Vergangenheit ist aber auch die Gegenwartshandlung rund um Maurice‘ Tod sehr spannend. Das ist fast nochmal eine Story für sich, bis sich in den letzten Kapiteln alle Verbindungen zeigen. Dieses komplexe Zusammenspiel beider Erzählebenen hat mich gepackt. Ein klassischer Fall von ‚Ich-lese-nur-noch-ein-Kapitel‘. Es fiel mir wirklich schwer, das Buch aus den Händen zu legen und selbst wenn, hat es mich in meinen Gedanken begleitet und tut das auch heute noch. Die Charaktere sind so einprägsam und authentisch in ihren Entwicklungen. Sie haben die Geschichte so toll getragen, denn nur durch sie bekommt man einen differenzierten Blick auf die Geschwister. Man ist quasi gezwungen immer wieder die eigenen Ansichten neu zu überdenken und verschiedene Perspektiven einzunehmen.

All diese Botschaften der Toleranz und Nächstenliebe sind in so viele schöne sprachliche Bilder gepackt. Hier nur eines von vielen Beispielen: „Du kannst aber unmöglich deine Geschichte erzählen, wenn du nicht weißt, worum es in deinem Leben eigentlich geht. Ohne ein Thema fügen sich die Fragmente nie zu einem sinnvollen Ganzen zusammen“ (S.33). Es stecken so viele Weisheiten in „Jaffa Road“, die mich noch lange begleiten werden.

Lieblingsnebencharakter: Durch die vielen Perspektiven und authentische Charaktere sollte auch klar sein, dass ich nicht einfach so einen Lieblingsnebenchatakter auswählen kann. In diesem Roman ist wirklich jede*r wichtig. Egal ob Maurice, der den Anstoß zur Story und den Knotenpunkt für alles bildet, Amals Eltern, weil sie ihr soviel Liebe und Mut mit auf den Weg gegeben haben oder auch Elias Frau, die nur am Rande auftaucht und doch so viel zur Aufklärung beiträgt. Niemand in dieser Geschichte ist überflüssig, alle sind an ihrem rechten Platz. Für mich bestätigt das nur nochmal, wie wichtig jeder einzelne Mensch für das große Ganze ist. In der Literatur genauso wie im echten Leben.

Fazit: „Jaffa Road“ ist ganz schnell zu einem Herzensbuch für mich geworden. Es ist lehrreich ohne belehrend zu sein. Große geschichtliche Ereignisse werden aus der Sicht verschiedenster Menschen gezeigt, ohne dass ein klischeehaftes schwarz-weiß Bild geliefert wird. Ganz im Gegenteil Daniel Speck schafft es, einen über Jahrzehnte andauernden scheinbar unlösbaren Konflikt so darzustellen, dass möglichst viele Sichtweisen Gehör finden, ohne eine als die einzig wahre darzustellen. Dieses Buch zeigt, dass es nicht nur eine Möglichkeit gibt, Geschichte zu erleben. Nein, es muss zwangsläufig immer auch noch mindestens eine zweite geben. Diese Botschaft ist so wichtig und wir alle sollten uns das zu Herzen nehmen. Egal ob ihr einen Schmöker, einen Politikthriller, eine tolle Familiengeschichte oder etwas zum Nahen Osten, Israel und Palästina lesen wollt. Nehmt dieses Buch zur Hand. Außerdem kann der Roman auch sprachlich punkten. Einfach rundum gelungen.

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