Ich mache es mal kurz und schmerzlos. Daniel Suarez hat sein Mojo verloren. Critical Mass ist ein gähnend langweiliges Werk ohne echten Höhepunkt und lediglich mit ein paar stereotypen, generischen Elementen, die Spannung vortäuschen. Suarez hatte mit Daemon und Darknet Anfang der 2000er revolutionäre Science-Fiction veröffentlicht. Genre Meilensteine, die seinen Ruf begründen und die ich, trotz zu viel Brutalität für meinen Geschmack, gerne gelesen habe und die auch extrem nachhaltig wirken. Nachdem Suarez die Daemon-Reihe hinter sich gelassen hatte, wurde es schon komplizierter. Kill Decision und Control haben dann die Grenzen von Suarez literarischen Fähigkeiten aufgezeigt. Zwar immer spannend, aber zunehmend hanebüchen und stereotyp. Richtig übel wurde es dann mit Bios. Aber aufgrund des hohen Tempos und des immer starken Spannungsbogens war ich gewillt Suarez weiterhin zu mögen. Delta-V war dann der Versuch von Suarez ins Hard-SF Genre zu wechseln. Oder wieder zurückzukehren? Und Delta-V war auch wieder spannend, wenn auch im Aufbau erbarmungslos generisch. Nun hat er mit Critical Mass die Fortsetzung geschrieben. Und aller Voraussicht nach, auch den letzten Suarez den ich gelesen habe.
Technology-Porn
Mit Überraschung habe ich gesehen, dass ich Delta-V schon gar nicht mehr rezensiert habe. Und das obwohl ich den Roman sowohl gelesen als auch als Hörbuch gehört habe. Warum zweimal? Weil ich zur Vorbereitung auf Critical Mass, welches direkt anschließt, die Geschichte wieder präsent haben wollte. Und gerade das Hörbuch hat mir dann noch mal klar gemacht, wie unfassbar generisch Suarez mittlerweile geworden ist. Das sind Geschichten aus der Schreibwerkstatt oder aus ChatGPT oder ähnlichen KIs. Das Problem ist, dass Suarez dermaßen technikverliebt ist, dass er all seien Energie darauf verwendet, Near-Future-Szenarien zu entwerfen, die, mehr oder weniger ähnlich, technisch wirklich realisierbar sind. Insofern ist der „Hard“-Abschnitt von Suarez Science-Fiction wieder sehr interessant. Aber was hilft denn ein ganz toller Technologie-Porn, wenn Handlung und Figuren der Thriller-Mottenkiste entstammen.
"Die Telepräsenzroboter umkreisten einander einander jetzt wie misstrauische Häftlinge beim Hofgang."
Autsch.
Während bei Delta-V wenigstens noch Spannung dadurch aufkam, dass man mit den Weltall-Pionieren mitfieberte, gibt es bei Critical Mass überhaupt keinen echten Spannungsbogen. Und das ist jetzt keine Übertreibung. Denn es passiert einfach nichts ausgenommen von endlosen Beschreibungen von Aufbau und Entwicklung einer Weltraumstation jenseits des Mondes. Und das haben auch Suarez und sein Verlag gemerkt, weshalb man völlig dämliche, zusammenhanglose Elemente einfügt, um den Anschein von Spannung zu erwecken. Nordkoreaner entern die Konstantin. Ernsthaft? Und niemand kann Raketenstarts auf der Erde verfolgen? Diese Schwachstelle oder dieses Logikloch ist so riesig, da passt der ganze Mond rein. Und weil es so wirklich schlecht ist, übergeht Suarez diese Problematik einfach und klärt sie nie auf. Wenn es eh schon Pseudospannung ist, bedarf es eben auch keiner Erklärung oder Einordnung in die selbst erschaffene Welt. Ansonsten wird so etwas wie Spannung in bester George R. R. Martin Manier konstruiert. Irgendein NPC erscheint auf der Bildfläche, nur um kurz darauf zu sterben. Das ist aber so durchsichtig, dass man es bereits vorher weiß.
Ayn Rand für Tekkies
Oder Suarez wirft noch schnell den Hinweis ein: ach, die sind übrigens ein Paar. Womit klar wird, dass einer von den beiden gleich sterben wird. Denn ansonsten wäre diese Information an der Stelle vollkommen überflüssig gewesen. Und da sich alles um den Mond und die Weltraumstation dreht und es ansonsten keine wesentliche Handlung gibt, weiß man auch, dass irgendwann irgendwas kaputt geht oder nicht so funktioniert, wie es soll. Klar. Anderer Möglichkeiten hat sich Suarez ja selbst beraubt durch das Nichtvorhandensein einer zu erzählenden Geschichte. Aber selbst der Handlungsstrang entlang des Mondbergbaus und der damit verbunden cislunaren Station ist gespickt mit reichlich absurden Vorstellungen bezüglich der Weltpolitik und der Weltwirtschaft. Die Technikbegeisterung von Suarez ist so dermaßen typisch US-amerikanisch, dass es mich wundert, dass das Buch in Deutschland dennoch positiv rezensiert wird.
Umweltzerstörung, Klimawandel, Ressourcenausbeutung – alles gar kein Problem, wenn wir nur in die richtige Technik investieren. Wirtschaft, Industrie und Politik holen den Karren schon noch aus dem Dreck. Oder um präziser und ideologischer zu sein: das freie Unternehmertum wird uns retten. Ernsthaft. Das ist Suarez Idee in Critical Mass. Eine radikallibertäre Wirtschaftsordnung ohne klassische Geldschöpfung und Fiatgeld, sondern ausschließlich durch dezentrale autonome Kryptowährungen. Weil… Blockchain ist super. Und damit auch niemand sein Verhalten ändern muss, beuten wir jetzt einfach nicht mehr die Erde aus, sondern den Weltraum und den Mond. Sind ja beide groß genug. Für die negativen Folgen gibt es dann schließlich wieder die richtige Technik. Technikfolgenabschätzung? Bei Suarez kein Thema. Waffen töten nicht, Menschen töten, könnte man im Hintergrund raunen hören. Da darf auch das bewerben der Nukleartechnologie nicht fehlen. Und so kann der Konsum weitergehen. Ewigem Wachstum sei dank.
"Eine Bastion freien Unternehmertums am Rand eines neuen Pionierlandes."
Eieiei.
Was nicht passt, wird passend gemacht
Und die Menschen? Die Weltmächte? Die herrschende Klasse? Die Finanz- und Politeliten? Die nehmen das alles so mehr oder weniger hin. Warum genau wird nicht so richtig klar. Irgendwas mit dem Erkennen der Notwendigkeit aufgrund des mörderischen Klimawandels. Natürlich. Wie wir aus der Geschichte wissen, entscheiden sich Menschen angesichts abstrakter tödlicher Bedrohungen immer für das Richtige und den Humanismus. Kein Öl- oder Kohlemilliardär, der das Vorhaben sabotiert. Keine Weltmacht, die einen Terroranschlag inszeniert. Also jedenfalls halbwegs realistisch versucht, zu sabotieren. Die Weltmächte würden auch nie Unschuldige töten, weil man ja internationale Zwischenfälle vermeiden möchte. Nun ja. Suarez schreibt vom Ende her. Er will das sein Mond- und Asteroidenbergbau inklusive der Raumschiffe und Raumstationen die Menschheit retten. Dadurch entwickelt sich die Geschichte aber nicht realistisch, sondern rumpelt in dieses Korsett gezwängt, so vor sich hin.
Allein das Rowohlt damit wirbt, dass diese vollkommen absurde Story „zugleich einen potentiellen Weg aus der Klimakatastrophe“ aufzeige, macht die Verzweiflung des Marketings deutlich. Hier wird gar nichts aufgezeigt, außer der Habitus von Menschen, denen wir diese Welt, wie sie ist, zu verdanken haben. Mit den Mitteln der Ausbeutung, Ressourcenvernichtung und -verschwendung, des Konsums und des Egoismus soll nun die Welt gerettet werden. Und natürlich wird alles gut, wenn erst einmal die Ressourcen aus dem Weltall kommen. Macht und Herrschaft sind nämlich gar keine menschlichen Motivatoren, sondern nur das Wirtschaften treibt Menschen an. Und natürlich der Entdeckerdrang. Es wundert schon fast, dass Suarez den Roman nicht Kolumbus 2.0 genannt hat.
Libertäre linke Ideologie – wait what
Was mich aber so richtig erschüttert, ist, dass die einzigen negativen Kritiken, die Critical Mass bekommen hat, von Rechtsradikalen stammen. Die lehnen nämlich reflexhaft Suarez Prämisse des Klimawandels ab. Und unterstellen ihm eine linksgrünversiffte Gutmenschenideologie. Weil, Klimawandel existiert nämlich gar nicht und wurde nur von woken Kommunistenjüdinnen erfunden, um die, eigentlich ja gar nicht mehr existente, weiße männliche Herrschaft zu stürzen. Femi-öko-nazis, you know. Da möchte man Suarez fast schon wieder promoten. Geht aber nicht, weil dazu ist Critical Mass als Roman einfach viel zu langweilig und schlecht. Hard Science-Fiction am Rande der Unterhaltung. Für Technikjunkies, denen die Folgen und Voraussetzungen von Technologien vollkommen egal sind, also z.B. Panzerfans, werden hier aber bestimmt auch ihren Spaß haben. Ich hatte keinen und werde vermutlich auch keinen Suarez mehr lesen. Denn durch das schon wieder offene Ende, nötigt sich Band Drei geradezu auf.