„Um deinetwillen werden wir täglich getötet und sind geachtet wie Schlachtschafe. Wach auf, Herr! Warum schläfst du? Werde wach und verstoß uns nicht für immer! Warum verbirgst du dein Antlitz, vergissest unser Elend und unsre Drangsal? Denn unsre Seele ist gebeugt zum Staube, unser Leib klebt am Boden. Mache dich auf, hilf uns und erlöse uns um deiner Güte willen!“*
Auschwitz Winter 1944, kurz vor Evakuierung, die Alliierten rücken vor, Kanonendonner aus der Ferne kündigt das Ende der Schreckensherrschaft der deutschen Teufel an.
Die Jüdin Maria kann nicht mehr warten, mit ihrem neu geborenen Sohn macht sie sich für die Flucht bereit. Das Kind gibt dabei Mut und Kraft, es ist der „Beweis für das Lebensprinzip und den Lebenshunger“ - in Gegenwart des Todes im Lager. Im Warten auf die Flucht am dunkelsten Punkt der Nacht , reflektiert Maria im Perspektivwechsel von Innen und Außen unter anderem über das Lagerleben und in Rückschau auch über ihr Kindsein in Serbien im Angesicht des menschenverachtenden Judenhasses. Die Reflexionen sind nicht einfach zu lesen, manchmal zu detailreich. Und doch – diese Schilderungen, insbesondere die des Massakers in Novi Sad - von Danilo Kis stilistisch expressionistisch wie auch philosophisch angelegt, entfalten eine enorme Wirkung, sie treffen ins Mark, und tiefer ins Herz, sie taumeln durch meinen Körper, ich fühle die Angst, ich spüre den Horror.
Danilo Kis hat den Text 25jährig für einen Wettbewerb in nur einem Monat unter Verwendung von Motiven des 44. Psalms geschrieben. Zum 30. Todestag legt der Carl Hanser Verlag hier erstmals eine deutsche Übersetzung vor.
*Psalm 44, Exzerpt