Buechili beginnt mit seinem Werk, wie es scheint, eine weitere Dystopie, doch bei näherer Betrachtung ist es aus meiner Sicht vielmehr ein Aufwerfen der Menschheitsfragen. So erinnert mich das Werk tatsächlich ein wenig an Sophies Welt, aber auch an Metro 2033 und The Cell.
Die Bühne: eine Welt weit in der Zukunft, die sich nach einem globalen Kollaps wie der Phönix aus der Asche unserer Zivilisation erhoben hat. Das Thema: die Menschheit möchte sich über ihre eigene biologische Sterblichkeit erheben, indem sie den menschlichen Körper in einen synthetischen zu verwandeln versucht. Ob das Experiment letztendlich gelingt, verrate ich an dieser Stelle natürlich nicht, nur, dass es spannend wird.
Die Verwandlung selbst ist symbolträchtig aufgeladen. Adler, Spinnen, kreuzungsähnliche Situationen begleiten die Metamorphose zur synthetischen Hülle, die das ewige Leben verheißt. Bildhaft und mit interessanten Stilmitteln gespickt, ist dieser Teil des Buches aus meiner Sicht der beste Part.
Doch ein kurzer Schwenk zurück: Annexea ist ein Verbund hochzivilisierter Städte mit einem elitären Zentrum – Anthropia. Dort ist der Hochmut, wie man sich denken kann, an der Tagesordnung, denn die Anthrotopier fühlen sich – und sind es physisch auch – dem Rest der Welt überlegen. Der alte Wunsch nach ewigem Leben ist so auch das Motiv vieler anthrotopischer Handlungen.
Natürlich wird auch die Gottesfrage aufgeworfen. LODZOEB, die sogenannte Logik der zweiten Ordnungsebene, ist eine Evolution des menschlichen Geistes, die von diesem nicht mehr erfasst werden kann. Nichtsdestotrotz kommuniziert sie mit einer elitären Auswahl der Menschen, die Deutung der Antworten ist jedoch Interpretationssache. Das kommt uns nicht von ungefähr bekannt vor…
Bald drängt der Gedanke an unsere denkende Oberfläche, dass sich hier nichts Gutes anbahnt, kennen wir doch die wiederkehrende Geschichte von Mensch und Maschine zur Genüge. Die Erzählung von raschem Aufschwung und schnellem Fall. Anfänglich Gutes, später die Apokalypse, wenn sich die Schöpfung über den Schöpfer erhebt.
Darius Buechili mag Worte. Er baut Wortgebilde, konstruiert filigrane Kapitel, die trotzdem wuchtig in ihrer Aussage wirken und nicht so schnell zu verdauen sind. Ein langer Anlauf bringt der Leseversuch mit sich, der sich über sicher 150 Seiten erstreckt – wird aber belohnt. Mit Spannung, aber auch mit Denkanstössen und einem Buch, das doch mehr in sich trägt als man erwartet hat.
Der Wunsch nach Authentizität macht diesen Anfang etwas schwer, wenn alles, aber auch wirklich alles, erklärt wird. Mich, als schnellen und bei spannenden Themen sehr wissensdurstigen Leser, hat das allerdings wenig gestört. Eines ist klar: Seichte Urlaubslektüre ist das nicht. Wenn man sich erst einmal an die Dichte der Sprache gewöhnt hat und langsam ein geistiges Bild von Anthrotopia und Annexea entwickelt, wendet man sich wieder mehr der Geschichte zu.
In einem angehängten, ausführlichen Glossar finden sich viele Erklärungen – die auch dringend notwendig sind.
So taucht die Geschichte ab in die Tiefen des menschlichen Geistes, aber rührt bei den tatsächlichen Charakteren nur an der Oberfläche, was ich etwas schade finde.
Oft ist es so, dass in diesem Genre die Tiefsinnigkeit zugunsten einer spannungsgeladenen Geschichte verloren geht. Diesen Balanceakt hat Buechili mit Bravour gemeistert, lässt Spreu Spreu sein und gesellt sich zum Weizen. Darüber hinaus gibt es meiner Meinung nach noch eine weitere Herausforderung:
Den Protagonisten eine tatsächliche Form, Ecken, Kanten und verborgene Facetten zu geben, ist aus meiner Sicht nur wenigen gelungen. Auch bei Buechili ist das nicht der Fall – wobei ich die Prognose wage, dass das nach einem solchen Debüt kein Ding der Unmöglichkeit ist.
Insgesamt ein wirklich herausragendes Buch.