Rezension zu "Der einfache Weg zu einem langen Leben" von David B. Agus
Es ist schon erstaunlich, welche modernen Erkenntnisse Hippokrates bereits vor fast 2500 Jahren kannte. Vielleicht waren die damaligen Menschen einfach die besseren Beobachter, während man heute manchmal den Eindruck gewinnen kann, dass viele Experten vor lauter Detailkenntnissen das große Bild nicht mehr sehen.
Dem Autor dieses nicht sehr umfangreichen Buches geht dies jedoch nicht so. Er versucht, seinen Lesern die einfachen Dinge, die allerdings nicht immer einfach umzusetzen sind, wieder ins Bewusstsein zu rücken. Allerdings muss man dabei beachten, dass hier ein amerikanischer Arzt für seine Landsleute schreibt. Offenbar herrschen in den USA ein anderer Kenntnisstand als in Deutschland und wohl auch eine andere Kultur, was den Umgang mit Krankheiten anbelangt. Einiges, was man in diesem Buch lesen kann, mutet etwas seltsam belehrend auf eine Weise an, bei der man sich nicht immer wie ein Erwachsener vorkommt.
Aber vielleicht spielt dabei auch der ärztliche Habitus eine Rolle, der häufig von einer gewissen Persönlichkeitsspaltung getragen zu sein scheint, wenn man den Gesundheitszustand von Ärzten mit in diese Betrachtungen einbezieht. Bei dieser Gelegenheit sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Herr Agus auch von einer gewissen Datensucht befallen zu sein scheint, denn er empfiehlt seinen Lesern als eine wichtige Regel, sich ständig sehr aufmerksam zu beobachten und diese Beobachtungen niederzuschreiben und immer bei sich zu führen. Dass dies bei vielen Mitmenschen nicht unbedingt zu entspannter Lockerheit und Frohsinn führen wird, kommt ihm dabei nicht in den Sinn.
Sein Buch unterteilt Herr Agus in drei Teile: Was man tun sollte, was man vermeiden sollte und in "Ärztliche Anordnungen". Unter der letzten Überschrift findet man eine Auflistung zahlreicher Untersuchungen, die man in gewissen Abständen und altersabhängig über sich ergehen lassen sollte, damit man sich sicher sein kann, dass noch alles im Körper erwartungsgemäß funktioniert. Auch darüber kann man geteilter Meinung sein. Immerhin gibt es beispielsweise Studien, die behaupten, dass eine Brustkrebsvorsorgeuntersuchung überhaupt keinen Einfluss auf die Todesrate bei dieser Krankheit besitzt. Darüber hinaus ist die Zahl falscher Diagnosen nach solchen Untersuchungen nicht unerheblich. Was das wirklich bedeutet, kann man sich leicht ausmalen.
Herr Agus ist auch ein glühender Verfechter der jährlichen Grippeschutzimpfungen. Er nimmt sie deshalb als eine seiner wichtigsten Regeln auf und verweist auf sie mehrmals. Da er Onkologe ist, kann man das in gewisser Weise nachvollziehen, denn seine Sorge sind Entzündungen, die noch lange im Körper nachwirken und Krebs bildend sein können. In den USA existiert die angesehene Cochrane Database of Systematic Review. Sie wertet Studien und medizinische Datenbanken in Meta-Analysen aus. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass die Grippeschutzimpfungen keine signifikanten Auswirkungen auf Fehltage oder Krankenhauseinlieferungen bei Grippeerkrankungen besitzt, also faktisch wirkungslos im Hinblick auf das Gesamtbild ist. Diese Impfung besitzt jedoch zahlreiche (wenn auch seltene) Nebenwirkungen. Darunter versteht man in der Regel aber nur Ereignisse, die in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Impfung gebracht werden können. In den Grippeschutzimpfungen in den USA findet man in jeder Dosis Spuren von Formaldehyd und 25 Mikrogramm Thiomersal (eine quecksilberhaltige Verbindung). Niemand weiß, was bei einer jährlichen Impfung dadurch langfristig im Körper passiert.
Diese Empfehlung des Autors ist also mehr als fragwürdig. Noch schlimmer ist jedoch nach meiner Ansicht seine im Text relativ versteckt enthaltene Affinität zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Auch hier kann niemand wissen, was langfristig bei einer Ernährung mit solchen Produkten im Körper passiert. Gilt der Hippokratische Grundsatz nicht mehr, dass man als Arzt in erster Linie Schaden vermeiden sollte?
Bei den unstrittigen Regeln findet in diesem Buch als vorgebildeter Leser nicht viel Neues. Man soll echte Nahrung essen (also industriellen Produkten möglichst aus dem Wege gehen), ausreichend schlafen, nicht zu viel Fleisch essen, sich vernünftig bewegen, sich um eine ordentliche Körperhaltung kümmern (die Mitte stärken), Gifte vermeiden, unter die auch die meisten Nahrungsergänzungsmittel und künstlichen Vitamine fallen, sich nicht überlasten, mit Krankheiten vernünftig umgehen und vieles mehr.
Das sind alles in der Tat sehr vernünftige und hilfreiche, wenn auch mittlerweile bekannte Empfehlungen. Dazwischen liest man dann aber auch, dass man täglich eine geringe Menge Aspirin einnehmen sollte (wieder wegen eventueller Entzündungen). In gewissen Kreisen gehört diese Chemikalie inzwischen zu den Nahrungsergänzungsmitteln. Agus warnt allerdings auch vor eventuellen Nebenwirkungen, insbesondere vor inneren Blutungen. Das passt zwar nicht mit einigen anderen Regeln zusammen, stört aber einen Schulmediziner offenbar nicht.
Alles in allem beschriebt dieses Buch also in über 60 Regeln die Grundprinzipien, wie man ein langes und gesundes Leben führen kann. Neben wirklich sinnvollen Regeln findet man aus meiner Sicht auch einige Merkwürdigkeiten und übertriebenes Selbstbeobachten oder den Hang zu fragwürdigen Untersuchungen, Gentechnik und wahrscheinlich nutzlosen Impfungen. Die unstrittigen Regeln sind sehr nützlich, anderes sehr fragwürdig. Wie soll man ein solches Buch mit Sternen bewerten, wenn man es muss? Ich weiß es wieder einmal nicht.