Rezension zu "Wie es ist und war" von David Constantine
Stans Nachbarn haben einen alten Kirschbaum gefällt und ihm einen Teil davon überlassen. Seinem Freund Jack, der immer auf der Suche nach gutem Holz zum Schnitzen ist, bringt er ein schönes Stück mit. Dessen Frau Ev ist begeistert und hat sogleich einen Verwendungszweck anzumelden. Einen schönen Leuchtturm kann sie sich vorstellen. Mit einem Blinklicht und "unten herum ein paar Wellen". Schließlich soll es ja echt aussehen. Doch ihr Mann hat längst beschlossen und auch schon angefangen, ein völlig anderes Objekt zu schnitzen. Eine Meerjungfrau ...
Mr. Silverman hält Vorträge und ist erfolgreich in einem nicht näher beschriebenen Gewerbe tätig. Er kämpft mit seiner Distanz zu den Menschen und ist auf der Suche nach seiner Seele. Hat er etwa keine mehr? Und was ist mit seinen begeisterten Zuhörern? "War es wirklich niemandem aufgefallen?" Man hat den Eindruck, es könnte eskalieren ... was es am Ende schließlich tut.
Großartig auch die Geschichte rund um einen Mann namens Owen, der nachts eine seltene Pflanze bewacht und gerne ausgefallene Ausflüge unternimmt. Höchstes Glück und Erkenntnis findet er während Übernachtungen in Höhlen. Auch als seine Freundin und Bewunderin Lou ein solches Erlebnis mit ihm teilen darf. Hier zieht der Erzähler alle Register, indem er den archaischen Geräuschen grundsätzliche Bedeutung beimisst. "Aus fernen Zeiten und Räumen" scheint ein unsichtbarer Wasserfall zu erklingen. "Der Klang, den sie hörten, war der Nachhall, in dem noch der erinnerte Schrecken der Schöpfung mitschwang."
Dazu passt die Erkenntnis des Mannes auf jener "Insel", die er in einem Brief notiert. Er ist davon überzeugt und hat sogar Beweise dafür gefunden, "dass im Herzen des Lebens das Grauen lauert". Auch mit Beobachtungen wie dem "Raum hinter ihren Augen", dem "Phänomen des unzureichenden Grundes" oder der Erkenntnis, dass nach "uralten Gesetzen" alles wieder neu beginnt, sobald "das Versehen unserer Existenz korrigiert ist", kann der Autor faszinieren und erschrecken zugleich.
Man mag diese Erzählungen jeweils wie eine vordergründige Geschichte lesen, um zwischen den Zeilen weitere zu entdecken. Es sind jene unaussprechlichen Dinge wie Erinnerungen und Sehnsüchte, die sich mit zunehmendem Alter und der damit verbundenen, oder je nach Sichtweise erzwungenen, Lebenserfahrung mehr oder weniger summieren. Völlig unabhängig davon, ob man will oder nicht.
David Constantine legt feinste Empfindungen frei und nicht selten liegen die Nerven blank. Das, was man verloren geglaubt hat, ist es vielleicht gar nicht. Die erlebte Zeit ist vergangen, man hat sie gelebt. Und doch ist die Erinnerung präsent und lebt mitunter auf, wie jene "Katja im Eis", eine junge Liebe, welche die Zeit nicht überdauerte.
Allerdings gibt es auch Geschichten wie "Charis", die sich einem unmittelbaren Zugang verweigern. Wer keine Lust verspürt, den intellektuellen Rätseln Folge zu leisten, alles in Frage zu stellen oder zu zerreden, setzt halt einfach zum Sprung an. Überspringen darf man auch Ausrutscher wie "zerstäubte Pisse", die sich auf die allgegenwärtige Musik auf einem Flughafen bezieht.
Ein Hauch von Tragik liegt in der Luft, aber trotz allem Unbill schafft es der Autor mitunter, seine komplexen Erwägungen in einem, zumindest angedeuteten, hellen, hoffnungsvollen Licht erscheinen zu lassen. Der Weg zur Verzweiflung und zum Scheitern ist jedoch in aller Regel nicht weit. Die Ambivalenz der Dinge bleibt, trotz positiver Schwingungen. Selten als wegweisender Rettungsring. Eher öfter als Scheitern. Eben so wie es ist und war.