Cover des Buches Kurze Interviews mit fiesen Männern (ISBN: 9783499231018)
Rezension zu Kurze Interviews mit fiesen Männern von David Foster Wallace

Rezension zu "Kurze Interviews mit fiesen Männern" von David Foster Wallace

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 13 Jahren

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 13 Jahren
Jeder, für den in Kunstdingen Anstrengung und Unterhaltung keine Gegensätze sind, soll David Foster Wallace lesen. ...heißt es in der Rezension dieses Buchs in der FAZ - und ich kann mich dem bloß anschließen. David Foster Wallace zu lesen ist zwar sehr anstrengend und tut manchmal sogar ziemlich weh (wer die überlange Fußnote in "Eine depressive Person" gelesen hat, wird wissen, was ich damit meine), aber: Es lohnt sich wirklich! Zuerst jedoch: Was genau steht denn in diesem Buch mit dem geheimnisvollen Cover? Anders als es der Untertitel "Storys" suggerieren könnte, handelt es sich bei den Kurzen Interviews keineswegs um klassische "Short Stories", wie sie zum Beispiel Ernest Hemingway geschrieben hat und wie sie in der Nachkriegszeit in Deutschland weit verbreitet waren. Es sind vielmehr experimentelle Prosaskizzen, in denen auf einen klassischem Spannungsaufbau vollständig verzichtet wird. Die großen Themen sind die psychischen Probleme der Protagonisten und die Sexualität (wobei das allerdings nicht heißen soll, dass es nicht auch kürzere Geschichten gibt, die gar nichts damit zu tun haben). Da gibt es zum Beispiel einen Jungen, der gerade seinen dreizahnten Geburtstag feiert und sich vornimmt, vom Sprungturm zu springen. Eine erwachsene Frau, die seit ihrer Kindheit an einer psychischen Erkrankung leidet, die vor allem darin besteht, dass sie ihre Qual niemandem direkt mitteilen kann. Einen Mann, der jedes Mal, wenn er einen Orgasmus hat, "Sieg der demokratischen Partei" schreit, woran jede dauerhafte Beziehung mit einer Frau scheitert. Einen anderen, der seinen verstümmelten Arm als "Geheimwaffe" dazu benutzt, um - so sagt er selbst - "Mösen ohne Ende zu kriegen". Oder noch einen anderen, der seinem Gegenüber geduldig die Vorteile erläutert, die Opfer von sexuellem Missbrauch haben. Mit den letzten drei Beispielen wären wir übrigens schon bei den titelgebenden "Interviews mit fiesen Männern" angekommen, die mit ungefähr 130 Seiten mehr als ein Drittel des Buches ausmachen. Darin erzählen anonyme, nur mit einer Nummer versehene Männer einem namenlosen Gegenüber ihre Beziehungen zu Frauen. Da, wo eigentlich die Fragen und Bemerkungen des Gegenübers stehen sollten, ist jedoch meistens bloß ein rätselhaftes "F.", was aber nicht allzu sehr stört, da man sie sich ohnehin aus dem Kontext erschließen kann. Das Stilmittel, das David Foster Wallace in dem vorliegenden Erzählband wohl am häufigsten benutzt, ist die Wiederholung - oder besser: die Variation eines einzigen Themas oder einiger weniger (aber meistens genialer) Ideen über mehrere Seiten. Besonders deutlich wird das in dem Text mit dem Titel "Die depressive Person": Über mehr als dreißig Seiten hinweg werden in Schachtelsätzen und quälend langen Fußnoten die verzweifelten Gedanken der Protagonistin beschrieben. Ich habe für die Geschichte beinahe zwei Stunden gebraucht, weil ich mehr als einmal Lektüre abbrechen musste, und das nicht nur wegen Mangel an Konzentration, sondern auch weil der Inhalt so furchtbar ist. Ich bin mir bewusst, dass das vielleicht nicht die beste Werbung für die "Interviews" ist. Deshalb will ich auch sofort erwähnen, dass in dieser Art zu schreiben gleichzeitig der große Vorteil von DFW's Geschichten liegt: Durch die langen Sätze ist man dazu gezwungen, sich wirklich mit den Texten auseinanderzusetzten und sie ernst zu nehmen. Man kann sich so nicht einfach nach der Lektüre zurücklehnen und sagen: "Das ist doch sowieso bloß eine erfundene Geschichte." - Und natürlich sind auch nicht alle Geschichten zu anstrengend, vor allem die Interviews selbst und manche der kürzeren Geschichten können sehr unterhaltsam und teilweise auch lustig sein. Ähnlich wie mit den langen Sätzen in der Erzählung "Die depressive Person" verhält es sich auch mit dem experimentellen Charakter aller Geschichten: Der große Vorteil ist, dass man nun endlich einmal etwas völlig Neues zu lesen bekommt, problematisch ist aber, dass bei mir (und vielleicht auch bei anderen Lesern) nicht alle erzählerischen Tricks so funktionieren, wie es sich DFW vermutlich gedacht hat. Manchmal erscheint in meinem Kopf einfach nur ein dickes, fettes Fragezeichen nach der Lektüre eines Textes, weil ich mir sicher bin, irgendetwas Wichtiges übersehen zu haben. Wenn ich den Text aber nochmals lese, ändert das gar nichts, sondern verstärkt vielmehr dieses Gefühl noch. Ob das Buch besser oder schlechter ist als "Kleines Mädchen mit komischen Haaren", sein erster auf Deutsch erschienener Band mit Erzählungen, kann ich trotzdem nicht sagen, da es sich dabei um eine grundlegend andere Art von Prosa handelt. Ganz sicher sagen kann ich jedoch, dass die "Kurzen Interviews" als Einstieg in die Welt von David Foster Wallace weniger geeignet, nichtsdestotrotz aber sehr interessant und lesenswert sind.
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