David Loades

 4 Sterne bei 1 Bewertungen

Alle Bücher von David Loades

Cover des Buches Mary Tudor (ISBN: 9781445608181)

Mary Tudor

(1)
Erschienen am 15.06.2012

Neue Rezensionen zu David Loades

Cover des Buches Mary Tudor (ISBN: 9781445608181)
A

Rezension zu "Mary Tudor" von David Loades

Andreas_Oberender
Vier neue Biographien über Königin Maria I. von England (Teil 3: David Loades)

Von allen Herrscherhäusern, die seit dem 11. Jahrhundert den englischen und britischen Thron innehatten, sind die Tudors am bekanntesten. Seit Jahrzehnten liefern sie Stoff für Biographien und historische Romane, Spielfilme und TV-Serien. Das Interesse der Historiker, Schriftsteller und Filmproduzenten verteilt sich allerdings ungleich auf die fünf Könige und Königinnen aus dem Hause Tudor. Heinrich VII. (1457-1509), der Begründer der Dynastie, Eduard VI. (1537-1553) und Maria I. (1516-1558) stehen seit jeher im Schatten Heinrichs VIII. (1491-1547) und Elisabeths I. (1533-1603). Obgleich Eduard VI. und Maria I. jeweils nur für wenige Jahre herrschten, ist es nicht gerechtfertigt, diese beiden Monarchen zu ignorieren. Die Jahre zwischen Eduards Thronbesteigung (1547) und Marias Tod (1558) waren eine dramatische Phase der englischen Geschichte. Die von Protestanten dominierte Regierung nutzte die Minderjährigkeit des Kindkönigs Eduard aus, um die Reformation, die unter Heinrich VIII. begonnen hatte, fortzusetzen und zuzuspitzen. Eduards Halbschwester Maria hingegen verschrieb sich dem Ziel, England in den Schoß der Katholischen Kirche zurückzuführen. In Deutschland ist Maria I. als "die Katholische" bekannt. Marias englischer Beiname, "die Blutige" (Bloody Mary), klingt ungleich düsterer und bedrohlicher. Er erinnert daran, dass während Marias Herrschaft rund 300 Protestanten auf dem Scheiterhaufen starben. Bis in die jüngere Vergangenheit galt Maria als grausame religiöse Fanatikerin. Mit dem Regierungsantritt ihrer Halbschwester Elisabeth erlangten die Protestanten wieder Oberwasser, zunächst in der Politik und bald auch in der Geschichtsschreibung. Protestantische Autoren, seien es Geistliche, seien es Historiker, kannten keine Gnade mit Maria, der ersten Königin auf Englands Thron. Sie betrachteten Marias Kinderlosigkeit und frühen Tod als göttliche Strafe für die Verfolgung der Protestanten, und sie taten ihre fünfjährige Herrschaft als zwar blutige, aber letztlich unbedeutende Episode ab, die den Siegeszug des Protestantismus nicht habe aufhalten können. In England setzte sich ein Geschichtsbild durch, wonach die Reformation "historisch vorherbestimmt" gewesen sei. In diesem Geschichtsbild spielte Maria I. die Rolle einer Tyrannin und Frevlerin, die ihr Land von seinem "historisch vorherbestimmten" Weg habe abbringen wollen. Zahllose Generationen wackerer englischer Protestanten erfüllte es mit Genugtuung und Schadenfreude, dass die Königin mit ihrem Versuch gescheitert war, England zu rekatholisieren.

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Bild vom Verlauf der englischen Reformation verändert. Heute wird die Reformation in England nicht mehr als geradliniger und bruchloser Prozess verstanden, der gleichsam zwangsläufig und unausweichlich in den Sieg des Protestantismus mündete. Bis weit in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hinein zeigte der Katholizismus großes Beharrungsvermögen. Das Vorhaben Marias I., die Reformation rückgängig zu machen, war nicht von vornherein aussichtslos. Die Revision des traditionellen Bildes vom Verlauf der englischen Reformation musste früher oder später zu einer verstärkten Beschäftigung mit Maria selbst führen. Der Nachholbedarf war groß. Zwischen 2007 und 2011 sind nicht weniger als vier neue Biographien der Königin erschienen. Wer sich heute über Leben und Herrschaft Marias I. informieren möchte, der kann wählen zwischen den Büchern von Linda Porter (2007), Anna Whitelock (2009), David Loades (2011) und John Edwards (2011). Alle vier Autoren sind bestrebt, Marias Leben und Regierung nicht vom Ende her zu deuten. Als die siebenunddreißigjährige Maria 1553 den Thron bestieg, war nicht abzusehen, dass sie nur fünf Jahre später sterben würde. Genauso wenig war abzusehen, dass ihre Ehe mit Philipp von Spanien kinderlos bleiben würde. Obwohl Maria zum Zeitpunkt der Heirat bereits 38 war, hätte sie theoretisch noch Kinder bekommen können. Wie wäre die englische Geschichte verlaufen, wenn die Krone 1558 an einen Sohn oder eine Tochter Marias gegangen wäre, nicht an Marias Halbschwester Elisabeth, die mit den Protestanten sympathisierte? Ein Vergleich der vier Biographien ist reizvoll und lohnend. Welches Bild zeichnen die Autoren von Marias Persönlichkeit und Charakter? Wie bewerten sie die Religionspolitik der Königin? Wie bewährte sich Maria aus Sicht der Autoren als erste regierende Königin der englischen Geschichte? Beim Vergleich der vier Bücher ist zu bedenken, dass die Autoren verschiedene Leserkreise erreichen wollen. Porter und Whitelock haben ihre Biographien für historisch interessierte Laien geschrieben. Edwards’ Buch ist in der renommierten Reihe "Yale English Monarchs" erschienen, deren Bände eher für den wissenschaftlichen Gebrauch bestimmt sind. Bei Loades ist nicht ganz klar, für welchen Leserkreis das Buch geschrieben wurde.

Bis zu seinem Tod im vergangenen Jahr war David Loades (geb. 1934) der Grand Old Man der Tudor-Forschung. Loades zählte zu den führenden Experten für die Geschichte Englands im 16. Jahrhundert. Er gehörte zu den Pionieren einer ernsthaften wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Maria I. In den 1970er Jahren erschien seine Studie "The Reign of Mary Tudor", die 1982 erstaunlicherweise ins Deutsche übersetzt wurde. Eine erste Biographie der Königin veröffentlichte Loades 1989. Die 2011 erschienene Biographie ist somit Loades' dritter Beitrag zur Erforschung von Marias Leben und Herrschaft. Es handelt sich um ein neues Buch, nicht um einen Nachdruck der Biographie von 1989. Mag das Buch auch nicht den erzählerischen Schwung besitzen, der die Biographien von Linda Porter und Anna Whitelock auszeichnet, so weist es doch mehrere Vorzüge auf. Loades präsentiert sein im Laufe von Jahrzehnten zusammengetragenes Expertenwissen in verständlicher, gut lesbarer Form. Er beschränkt sich durchweg auf das Wesentliche, verliert sich nicht in übertriebener Detailfülle oder Nebensächlichkeiten (sein Buch ist die kürzeste der vier Maria-Tudor-Biographien). Es fällt auf, dass Loades der Königin kritischer gegenübersteht als Porter, Whitelock und Edwards. Während gerade Porter und Whitelock Marias Willensstärke, Prinzipienfestigkeit und Durchsetzungsvermögen bewundern, hinterfragt Loades etliche von Marias Überzeugungen und Entscheidungen kritisch. Er macht keinen Hehl daraus, dass er die Königin für politisch eher mäßig begabt hält (er vergleicht Maria unvorteilhaft mit ihrer Halbschwester Elisabeth). Bei allem Respekt für Marias Festigkeit im katholischen Glauben gibt Loades zu bedenken, dass der Versuch, England zum Katholizismus zurückzuführen, an den tatsächlichen Bedürfnissen des Landes vorbeigegangen sei. Maria hätte in Religionsfragen mehr Flexibilität und Pragmatismus an den Tag legen müssen. Sie sei in einer Art Tunnelblick gefangen gewesen, habe sich zu sehr von ihrem Gewissen leiten lassen und zu wenig von sachlichen politischen Erwägungen. Das Volk habe zwar die Abkehr von den Exzessen der edwardianischen Reformation gutgeheißen, die Rückkehr in den Schoß der Römischen Kirche jedoch abgelehnt. Maria habe das nicht erkannt und berücksichtigt. Eine vollständige Rekatholisierung sei in den 1550er Jahren nicht mehr erreichbar gewesen, und der englische Protestantismus wäre nicht "abgestorben", hätte Maria länger gelebt.

Ähnlich wie die Orientierung auf Rom hält Loades auch Marias enge Anlehnung an Spanien und die Habsburger für einen Fehler. Kaiser Karl V., sein Sohn Philipp (Marias Ehemann) und der kaiserliche Botschafter Simon Renard hätten einen Einfluss auf die Königin ausgeübt, den sie niemals hätten erlangen dürfen. Maria habe sich von den Habsburgern instrumentalisieren lassen und es dadurch ihren Kritikern leicht gemacht, sie als spanienhörige Herrscherin zu verunglimpfen. Ihren Untertanen sei sie "nicht englisch genug" gewesen (S. 271), und daher habe sich die Trauer über ihren vergleichsweise frühen Tod in Grenzen gehalten. Deutliche Kritik dieser Art vermisst man in den drei anderen Biographien. Konzentrieren sich Porter und Whitelock darauf, die "Geschichte einer mutigen und unbeugsamen Frau" zu erzählen (um es etwas plakativ zu formulieren), so ordnet Loades Marias Herrschaft in die großen Entwicklungslinien der englischen Geschichte im 16. Jahrhundert ein. Sein Blick auf Marias Persönlichkeit und Leistungen ist nüchterner und abgeklärter als der von Porter und Whitelock. Loades beurteilt die Erfolgsaussichten der Rekatholisierung skeptisch, während Porter und Whitelock sich mit diesem Aspekt gar nicht eingehend befassen. Loades interessiert sich in erster Linie für die politische Geschichte. Anders als Porter und Whitelock verliert er nur wenige Worte über Marias Hofstaat, das Leben am Hof und das Mäzenatentum der Königin. In seiner Darstellung wirkt Maria deshalb etwas flach und eindimensional. Problematisch ist Loades' Auffassung, Maria hätte in der Religionspolitik eine Art Mittelweg beschreiten sollen – Wiederherstellung des Katholizismus ohne Wiedervereinigung mit Rom. Wie hätte das in der Praxis funktionieren sollen? Kann es so etwas überhaupt geben, ein katholisches Land, das nicht der Römischen Kirche angehört? Loades' Buch ist trotz alledem lesenswert, denn es gibt Denkanstöße für eine sachlich fundierte Kritik der Königin und ihrer Politik. 

(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Januar 2017 bei Amazon gepostet)

Gespräche aus der Community

Bisher gibt es noch keine Gespräche aus der Community zum Buch. Starte mit "Neu" die erste Leserunde, Buchverlosung oder das erste Thema.

Community-Statistik

in 2 Bibliotheken

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks