"Die entscheidende Leistung dieses Buches besteht darin, dass es einem den Glauben an den Radsport zurückgibt.", steht hinten auf dem Einband und ist ein Zitat des britischen Observers. Da war ich gespannt. Ich schätzte David Millar nach seiner Rückkehr aus der Dopingsperre als Fahrertypen und guten Redner, der sich nie auf Standardsätzen ausruhte. Ein heller Kopf also, aber was brachte ihn zu seinem Betrug und wie geht man damit um, wenn man wieder zurückmöchte?
Es ist eine seltene Geschichte, die David Millar da erzählen kann, denn ihm ist gelungen, was den anderenerwischten Lautsprechern seiner Generation, den Jaksches, Schumachers, Rassmussens, nicht gelungen ist. Es dauert die länge eines Buches, eines ausführlichen Buches von 400 Seiten, um zu verstehen was den Unterschied ausmacht. Oder die Kürze eines Buches, besser gesagt, denn fünfhundert Zeitungsartikel und Meinungen und Interviews halfen nicht, dieser Papierblock aber schon.
Fünf Jahre liegen zwischen den beiden Szenen, die das Buch spannungsreich eröffnen: Die Gefangennahme und die 48 Stunden im Gefängnis von Biarritz 2004 und die Etappe der Tour de France 2009 nach Barcelona, die Millar beinahe gewann und die für ihn zum Symbol seiner zweiten Karriere wurde. Sie sind gut gewählt und das Buch nimmt sich die Zeit, sie beide zu verbinden. Dabei wird danach chronologisch vorgegangen. Erst plätschert es ein wenig dahin, wenn es um die Anfänge der Karriere geht, das Entdecken des Radsports und die Zeit in Hongkong.
Fahrt nimmt es dann auf, als es zum Beginn der Profizeit kommt, auch wenn es dann noch lange dauert, bis sich Millar dem Drama widmet, das er eigentlich erzählen will, wo doch das Buch im Original "Racing through the dark" heißt. Diese Dunkelheit beginnt mit ein paar Regenerationsspritzen, Vitamine, Eisen und endet dann im Sündenfall bei der Vuelta 2000. Ein lang geplanter Betrug, wie sich herausstellt, man erfährt detailliert von den Vorbereitungen bei einem Teamkollegen in der Toskana und wie es danach mit einem spanischen Arzt weiterging. Millar teilt mit, dass es ein langer Prozess war, seine Niederlage bei der Tour 2000 nur der letzte Stein in diesem Mosaik. Tatsächlich aber erscheint es dem Leser anders. Wie genau man als Fahrer in der Zeit veranlasst wurde, seine Prinzipien über Bord zu werfen, wird nicht deutlich. Auch bleibt die Frage offen, weshalb Millar auch in seiner dunklen Zeit Rennen sauber gewann und dann in anderen wieder zu Doping griff. Ebenfalls wird nicht ausreichend schlüssig dargestellt, inwiefern die Begegnung mit Dave Brailsford und der Wille, für Großbritannien zu starten, den Absprung bedeuten musste.
Es gelingt Millar gut, sich selber darzustellen, sich selber und seine Party-, Alkohol-, Doping-Vergangenheit zu analysieren und den Wendepunkt, nämlich die Sperre, glaubwürdig darzustellen. Der Frage aber, weshalb ihm der Weg zurück ins Peloton bei einer Profimannschaft nicht versperrt bleiben sollte, wie es nach einer Sperre üblich war, widmet er sich nicht. Wie passt es zusammen, ein reuiger Sünder zu sein, aber gleichzeitig gegen die Länge der Strafe zu klagen, auszusagen, dass das Team ihn zum Doping verleitet habe und dann das Selbstbewusstsein zu haben, als erstes Rennen nach der Sperre die Tour de France fahren zu wollen? Und warum um alles in der Welt bewahrt man als Andenken an seine Dopingzeit, bevor diese aufgeflogen war, zwei Spritzen im Bücherregal auf? Fragen, die ungeklärt bleiben, deren Erklärung man aber von Millar selber wohl kaum verlangen kann.
Das Buch schafft es tatsächlich, einem den Glauben an den Radsport zurückzugeben, wenn man sich die Mühe macht, zu differenzieren, Talent und echte Leistung zu erkennen. Ein gelungenes Porträt des Profisports, das den Menschen mit Stärken und Schwächen in den Mittelpunkt stellt. Zu bedauern ist aber, dass das Buch drei Jahre zu früh erschien. Denn zwischen 2010, als er es schrieb, und dem Ende seiner Karriere zu Saisonende 2014 ist noch einiges passiert: Sein Etappensieg bei der Tour de France 2012, der sicher die erste Szene zur Barcelona-Etappe 2009 ersetzt hätte, die olympischen Spiele in London, das Geständnis von Lance Armstrong. Dennoch ist es auch so ein Buch, das den Respekt vor David Millar ziemlich wachsen lässt und einen bezogen auf den Radsport optimistisch in die Zukunft blicken lässt.