Mit Mouse Guard hat David Petersen ein Fantasy-Kleinod geschaffen. Die Abenteuer der drei Mäusekrieger Lieam, Kenzie und Saxon führen durch eine Welt voller Raubtiere und Verschwörungen. Seit einigen Jahren gibt es die erfolgreiche US-Serie auch auf Deutsch zu lesen.
Tapfer umklammert Lieam sein winziges Schwert mit der rechten Pfote. Eine Schlange ist ziemlich groß, zumindest, wenn man eine Maus ist. Lieam ist noch nicht lange bei der Mäusewache. Wie David gegen Goliath steht der rotpelzige Mäusekrieger seinem Gegner gegenüber. An eine Flucht ist nicht zu denken, dafür ist die Schlange schon zu nah. Plötzlich erhebt sich das Reptil und reißt das Maul auf. In Lieams Augen blitzt es. Einer von beiden wird heute sterben.
Schon die ersten Seiten lassen erahnen, dass David Petersen ein sicheres Gespür für Fantasy hat. Vor Mouse Guard war der Künstler aus Michigan so gut wie unbekannt. Dann ging alles sehr schnell. Er gewann den Eisner Award, eine der wichtigsten Comic-Auszeichnungen in den USA. Seine Serie tauchte auf der Bestsellerliste der New York Times auf. Und inzwischen gibt es von Mouse Guard ein Rollenspiel.
Mouse Guard ist in vielerlei Hinsicht eine ungewöhnliche Veröffentlichung. Das quadratische Format sticht ins Auge, ebenso die exzellenten Zeichnungen und die Ausgewogenheit und Atmosphäre der Farbgebung. Sieht man von diesen Äußerlichkeiten ab, macht Petersen auch inhaltlich einen guten Job. Denn viele Fantasy-Publikationen im Comic-Bereich stützen sich nur auf zwei Säulen: Tolles Artwork und viele Kampfszenen. Die Liste solch langweiliger Geschichten ist lang.
Petersens Herangehensweise ist anders, nicht unbedingt orientiert am Mainstream oder am kommerziellen Erfolg, sondern vom Wunsch getrieben, etwas wirklich Eigenständiges zu erschaffen. Dabei verlässt er sich auf drei Dinge, die von jeher zum Kern klassischer Fantasy-Literatur gehören, leider aber oft vernachlässigt werden: Freundschaft, Poesie und Geschichten.
Lieam, der junge Mäusekrieger, kämpft nämlich nicht alleine. Die mittelalterliche Welt von Mouse Guard ist durchdrungen von übermächtigen Gegner und anderen Gefahren. Da ist es gut, wenn man Freunde hat. In Lieams Fall sind das Kenzie, ein ruhiger und bedächtiger Mäusekrieger, und Saxon, ebenfalls von der Mäusewache, der jedoch der Gefahr lieber entgegen läuft. Das sind die drei Helden, mit denen Petersen arbeitet. Die Abenteuer, die der Leser an ihrer Seite erlebt, führen durch eine dunkle, gefährliche und unsichere Welt. Denn die Maus-Territorien werden ständig bedroht – durch einen Verräter und seine Armee, durch Frost und Kälte oder durch Raubtiere. Gut, dass es die Mäusewache gibt.
Beim Erzählen macht Petersen immer wieder Schlenker, gespickt mit kleinen Weisheiten und Andeutungen, die der Geschichte Raum und Tiefe verleihen. Viele Details in der Welt von Mouse Guard haben ihre eigene Geschichte, ihre eigene Vergangenheit. Es ist Petersens komplexer Traum von einer Welt, die es nicht wirklich gibt. Manchmal leidet der Erzählfluss unter dieser Vielschichtigkeit, immer jedoch ist die dichte Atmosphäre spürbar, die den Leser weiterzieht.
Auf dem stark vom Superhelden-Mainstream dominierten US-Comic-Markt ist Mouse Guard ein seltenes Kleinod. Ein bisschen hat man das Gefühl, auch hier stünde David gegen Goliath. Lieam jedenfalls lässt sich von der übergroßen Schlange nicht einschüchtern. Mutig setzt er zum Sprung an, krabbelt dem Biest ins Maul und stößt so fest zu, wie er nur kann. Die Schlange fällt tot zu Boden, und seine Freunde schneiden ihn aus dem Leib des besiegten Monsters heraus. Ab jetzt kann die Legendenbildung beginnen.