Die Frankfurter Buchmesse nähert sich in großen Schritten und mit ihr der Gastlandauftritt von Georgien. Nachdem im letzten Jahr mit Frankreich ein Land von großer Nähe zu Gast war – sowohl geografisch als auch in seinen Beziehungen zu Deutschland und in seiner Kultur -, gilt es 2018 ein vielen Lesern doch relativ unbekanntes Land zu entdecken.
Georgien, das abgesehen von einer kurzen Episode nach der Russischen Revolution allein im Mittelalter nationale Unabhängigkeit besaß, wechselnd von Byzanz, dem Römischen Reich und vor allem Russland beherrscht wurde, verfügt über ein eigenständiges Alphabet, das Mchedruli, und eine reiche literarische Tradition. Dennoch sind relativ wenige Autoren hierzulande bekannt, sieht man einmal von der in Deutschland lebenden und auf Deutsch schreibenden Nino Haratischwili ab. Da gibt es noch viel zu entdecken.
Der 1982 geborene Dramatiker, Übersetzer und Literaturkritiker Davit Gabunia ist mit seinem Debütroman „Farben der Nacht“ eine solche Entdeckung.
Ein Kammerspiel – sechs Personen, zwei Wohnungen, ein Büro, in denen sich die Ereignisse abspielen. Gern wird der Vergleich mit Hitchcocks Klassiker „Das Fenster zum Hof“ bemüht, die Ausgangslage ist eine ähnliche.
Surab, ein arbeitsloser junger Vater, kümmert sich, während seine Frau Tina arbeitet, um die Kindern Gio und Dakuta. Eine eher unbefriedigende Situation, da Surab immer weiter in Lethargie abzurutschen scheint, immer öfter einfach nur mit seinem Kumpel Ika herumhängt oder aus dem Fenster der Tifliser Wohnung starrt. Eines Tages beobachtet er in der Wohnung gegenüber, der schon länger sein Interesse gilt, einen Mord. Vor einiger Zeit ist dort ein junger Mann, Schotiko, eingezogen, der nicht nur einen knallroten Alfa Romeo fährt, sondern auch sonst ein extravagantes Leben zu führen scheint. Surabs Neugier ist geweckt. Und so beobachtet er Tag für Tag die Vorgänge gegenüber, registriert die regelmäßigen Herrenbesuche, beobachtet das Liebesleben Schotikos, macht Fotos. Das ganze wird immer mehr zu einer Obsession, besonders als er entdeckt, dass der nächtliche Besucher, Merab, ein hohes Tier beim Geheimdienst ist. Surabs Beziehung zu Tina gerät dabei immer mehr ins Hintertreffen. Er wundert sich kaum über die vielen Überstunden seiner Frau, ihre Zerstreutheit, ihre abweisende Haltung. Eines Tages verschwindet sie. Und Surab beobachtet in Schotikos Wohnung einen Mord.
Hintergrundrauschen bilden die politischen Vorgänge in diesen wenigen geschilderten Wochen des Spätsommers 2012. Nach der Veröffentlichung von Bildmaterial über Missstände in georgischen Gefängnissen und Folterungen von Häftlingen kam es damals zu massiven Protesten gegen den Präsidenten Micheil Saakaschwili, die zu vorgezogenen Neuwahlen am 1. Oktober 2012 führten.
Diesen Ereignissen, den Fernsehberichten, den Demonstrationen vor der Haustür steht Surab ebenso passiv gegenüber. Genau wie seine eigene Welt gerät auch die Welt vor der Haustür ins Wanken. Zögerlich fragt sich Surab, ob er handeln soll oder nicht, seine Entscheidung erweist sich aber im Falle des beobachteten Mordes als fatal.
Surab, Tina, Merab, Schotiko – sie alle erhalten von Davit Gabunia eine eigene Stimme. Dazu noch die alte Nachbarin Lili und Tinas Arbeitskollege Nuri. Ihre individuellen Tonlagen sind dem Autor sehr gut gelungen. Er schafft so ein spannendes Kammerspiel, das leider zum Ende hin etwas abfällt und sich zu sehr in Tinas Geschichte verstrickt. Ihr rastloses, verzweifeltes Irren durch die Straßen Tiflis hat durchaus seinen eigenen Reiz, lenkt aber doch zu sehr von dem bis dahin stark fokussierten Geschehen ab.
Dennoch: eine spannende Entdeckung und eine Leseempfehlung. Gerade auch zur literarischen Vorbereitung auf das Gastland Georgien.