Rezension zu "Disappearing Home" von Deborah Morgan
Ein kleines Mädchen schaut den Leser aus dem Titelbild des Bucher heraus an. Ungekämmt, leicht ungepflegt, der Ausdruck traurig, misstrauisch und seltsam weltmüde für ihr Alter. Der kurze Werbetext daneben verspricht eine profunde, realistische Geschichte - und das ist ohne Zweifel wahr. Aber außerdem verspricht er ein "zutiefst unterhaltsames" Lesevergnügen, und das war das Buch für mich größtenteils leider nicht.
Schon auf den ersten Seiten der Geschichte wird klar: Robyn ist intelligent und fantasievoll - und das Leben hat ihr schlechte Karten mitgegeben. Schon früh muss sie für ihre Eltern stehlen gehen, dem Vater rutscht schonmal die Hand aus, in der Schule hat Robyn so gut wie keine Freunde und die Lehrer können oder wollen nicht sehen, warum sie sich so schwer tut... Neidisch schaut sie auf das schöne Spielzeug der anderen Mädchen, sehnt sich nach der mühelosen Akzeptanz von Freundinnen, und scheitert doch immer wieder daran. Ihr eigenes Selbstbild ist von Ablehung geprägt: warum haben ihre Eltern sie als Baby behalten, fragt sie sich einmal, wenn sie sie jetzt doch am liebsten wegwerfen würden? Dumme Küh, blöde Schlampe, das sind noch die harmloseren Bezeichnungen, die sie sich täglich anhören muss.
Manchmal war es richtig schwer für mich, die Geschichte weiterzulesen, weil mir Robyn so leid tat, weil ich so verzweifelt wollte, dass endlich mal etwas gut und richtig für sie läuft... Dass die Mutter nur ein einziges Mal das tut, was richtig für ihr Kind ist, und nicht nur für sie selbst und ihren saufenden Ehemann. Aber es sind immer nur kleine Siege, die Robyn erringen kann, gestohlene Momente des ganz kleinen Glücks. Vorsichtige Freundschaften mit anderen Ausgestoßenen, Besuche bei ihrer wohlmeinenend Großmutter. Das überwiegende Gefühl, mit dem das Buch mich geradezu durchtränkt hat, war Hoffnungslosigkeit.
Ich hätte mir wesentlich mehr Entwicklung gewünscht: für Robyn, für ihre Familie... Ein inneres und äußeres Wachstum. Sicher, ein Buch wie dieses, über ein vernachlässigtes, missverstandenes Kind, ist geradezu zwangsläufig keine leichte Kost, aber dennoch hatte ich am Schluss vor allem den Gedanken: warum das alles? Warum habe ich das jetzt gelesen? Anfang und Ende der Geschichte beißen sich fast in den Schwanz - oder vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil ich mir mehr erhofft hatte.
Mir fehlte der kleine Funke Hoffnung, die leise Botschaft, dass das Leben nicht so sein muss, dass man sich Hilfe suchen kann und sollte. Vielleicht liegen meine Probleme mit diesem Buch auch daran, dass es meiner Meinung nach keinen übergreifenden Handlungsbogen gibt; es ist eher episodenhaft geschrieben, oft eher sprunghaft - fast schon wie eine hängende Schallplatte, die im Grunde immer das gleiche Lied spielt.
Abgesehen von Robyn und ihrer Großmutter gab es außerdem nur sehr wenige Charaktere, die mir in irgendeiner Form wichtig geworden sind, und auch das machte es für mich eine eher schleppende Lektüre.
Der Schreibstil ist einfach, fast schon kindgerecht, aber dabei doch ansprechend und verlockend genug, doch immer weiterlesen zu wollen, trotz all meiner Schwierigkeiten mit dem Buch.
Das Buch behandelt sicher ein wichtiges, interessantes Thema, aber mit der Präsentation konnte ich mich nicht wirklich anfreunden - und das, obwohl ich Robyn, die kleine Hauptperson, wirklich mochte. Oder vielleicht gerade deshalb, weil man so hilflos zusehen muss, wie sie sich durchs Leben schlägt.